Transkript
von Gastkolumnistin Annette Thommen
ENICUM
Fehler. Kultur?
Ein neues Unwort stösst sauer auf: die «Fehlerkultur». Es kommt von Herzen. Genauer gesagt von den in Zürich und Bern verpflanzten. Dieses Wort beunruhigt mich zutiefst. Was haben Fehler mit Kultur zu tun? Ist es denn jetzt schon ein Zeichen von verfeinerter Lebensart, wenn man Mist baut? Oder dürfen wir uns unter einer «Fehlerkultur» eher etwas aus dem Agrarsektor vorstellen? So eine Art medizinischer Nährboden, auf dem Versagen und Pfusch gezüchtet werden? Schon lange witzeln Assistenz- und OberärztInnen auf Spitalkorridoren, dass in ihren Spitälern «Management by Champignon» (nein, nicht «Champion»!) betrieben würde. Die Basis sei organisches Material im Verrottungsprozess, alle MitarbeiterInnen würden im Dunkeln gehalten und regelmässig mit Mist überschüttet. Wenn sich ein heller Kopf zeige, würde dieser sofort abgesägt. «Fehlerkultur» ist ein gleich verlogener Euphemismus wie «Restrisiko» und «Problemstoff-Entsorgung». Trotz dem exzellenten Nachhaken von Christine Maier im «Club» am 4. Mai haben mal wieder sattsam bekannte Schönredner die Tragödien der letzten Zeit minimalisiert. Darunter versteht man wahrscheinlich «Gesprächskultur» oder «Streitkultur» … Die einzige erfrischende Ausnahme im Bagatellisierklub war Spitaldirektorin Roth, die seit Tagen immer wieder klipp und klar sagt, dass dieser Fehler vermeidbar, ungeheuerlich und unverzeihlich war und es nach dem Ausscheiden von Prof. Marko Turina vorerst keine Herztransplantationen am USZ mehr geben würde. Kein Rumgerede, kein Verniedlichen, kein Schuldabschieben, sondern nur ein geradliniges «Es tut uns Leid – das hätte nicht passieren dürfen.» (Merke: Selbst Gourmetführer sprechen automatisch Sterne oder Kochmützen ab, wenn der Küchenchef das Restaurant verlässt!) Die anderen «Club»-Gesprächsteilnehmer
setzten – je nach biografischem und politischem Hintergrund – bewährte Vernebelungstaktiken ein. Da wurde der Ruf nach vertiefter interner Selbstkontrolle oder aber nach mehr Behördenaufsicht laut. Die Platitüde, dass halt Fehler gemacht würden, wo gearbeitet wird, wurde genauso heruntergeorgelt wie die stets aussageflexiblen Statistiken. Man(n) ging hinter einer Mauer von Fremdwörtern in Deckung, zeigte Betroffenheit und eine Prise Selbstkritik. In dieser Runde der potenziellen Täter waren die Opfer und ihre Vertreter nicht geladen: keine geschädigten PatientInnen, kein Anwalt, keine Untersuchungsbehörde. Ausgerechnet die Vertreterin der Patientenorganisation beendete die Diskussionsstunde mit der verbalen Streicheleinheit, dass Schweizer Spitäler immer noch «relativ sicher» seien … Um fair zu bleiben: Als Allgemeininternist/praktikerIn schnippelt man nicht neben dem Nervus facialis herum, pocht einem nicht der Circulus Willisi oder die Arteria gastroepiploica unter dem Skalpell, befingert man nicht Cochlea oder Glaskörper. Was chirurgisch tätige KollegInnen leisten, welche Anspannung und Verantwortung sie (er)tragen, muss genauso wie ihre Virtuosität respektiert werden. Fehler in der Chirurgie fallen auf, sind schwer zu vertuschen, haben verheerende Folgen auch für den Arzt. Es wäre anmassend bis ungerecht, aus dem gemütlichen hausärztlichen Stübchen heraus Steine auf Koryphäen zu werfen, welche Hunderten von Patienten das Leben gerettet und jahrzehntelang nahezu perfekt gearbeitet haben. Die meisten von uns wurden vermutlich auch mal von einer Krankenschwester davor bewahrt, einem Antikoagulierten eine intramuskuläre Spritze zu verpassen oder ähnlichen Unsinn zu begehen – wobei es aber nicht egal ist, ob jugendliches Unwissen, Nachlässigkeit des Routiniers oder be-
triebsbedingte Überforderung der Grund war. Dass Fehler passieren und dass sie eigentlich jedem passieren, darf nicht zu deren Verharmlosung verleiten. Natürlich muss man «Prozesse» kritisch prüfen – es sind hiermit Abläufe nach Donnabedian gemeint – genau wie man Input und Output messen sollte. Doch Prozesse im juristischen Sinn gehören zur Medizin und den dort Tätigen genauso wie zum Leben aller Normalbürger. Inklusive Urteile und Sanktionen. Nicht angesprochen wurde im «Zischdigs-Club», dass es MedizinerInnen gibt, die nach einem Fehler Selbstanzeige bei ihrer Haftpflichtversicherung machen – ein mutiger und fairer Schritt. Und dass es Ärzte gibt, die freiwillig die Grösse ihrer Abteilung, ihr Arbeitspensum und ihre hierarchische Stufe reduzieren, um optimale Arbeit zu leisten. Oder Pioniere wie den Basler Anästhesisten Prof. Scheidegger, der trotz Kollegenspott ein Fehler-Meldesystem nach amerikanischem Muster aufzog. Die neu geschaffene «Stiftung für Patientensicherheit» – mal wieder ohne Frauen im Führungstrio! – muss zeigen, dass sie mehr als Datenbanken und Ehrenpöstli für Frischemeritierte liefert, wenn ihre Gründung wirklich «eine Antwort auf die nationale und internationale Diskussion über die Patientensicherheit in der stationären und ambulanten medizinischen Versorgung» sein soll, wie sie dies vollmundig ankündigte. In der Zwischenzeit ist zu hoffen, dass die richtigen Extremitäten amputiert und passende Organe transplantiert werden. Vergessen wir nicht die einfachen Mittel: den wasserfesten Edding-Filzschreiber bei der Visite am Vorabend der Operation, mit dem das Operationsgebiet auf der Haut des nichtnarkotisierten Patienten markiert wird. Und am Tag der Operation ein Blick in den Blutspenderausweis …
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