Transkript
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Das schmerzhafte Ohrknötchen
Eine otologische Blickdiagnose
FRITZ MEYER
Die Chondrodermatitis nodularis chronica (dolorosa) helicis («Schmerzhaftes Ohrknötchen») ist der klassische Fall einer Erkrankung des äusseren Ohres, die in Zusammenhang mit dem Befund, der Vorgeschichte und den Beschwerden des Patienten als Blickdiagnose gestellt werden kann. Wenngleich dieses Krankheitsbild harmlos und auch nicht sehr häufig ist, so führt es den Patienten wegen seiner Schmerzhaftigkeit in die Sprechstunde.
Johann H. kommt eher selten und dann meist nur wegen banaler gesundheitlicher Probleme zu mir in die Praxis. Diesmal aber hat der 52-Jährige Angst: «Ich kann einfach nicht mehr auf meinem rechten Ohr schlafen, weil sich am oberen Rand der Ohrmuschel in den letzten Monaten
ein kleines Knötchen entwickelt hat, das bei Berührung und Druckkontakt fürchterlich weh tut. Ist das Krebs?» Ich kann ihn beruhigen, denn aufgrund des Aspekts (Abbildung 1) und der typischen Symptomatik vermute ich ein schmerzhaftes Ohrknötchen. Ich rate dem Patienten zur Exzision, die ich selbst wenige Tage später in Lokalanästhesie durchführe. Die feingewebliche Untersuchung bestätigt meine klinische Verdachtsdiagnose, der Heilverlauf ist reizlos und der Patient schon bei der Entfernung der Fäden vollkommen beschwerdefrei.
Krankheitsbild Die Chondrodermatitis nodularis chronica (dolorosa) helicis wurde erstmals von Winkler (1) unter dem Namen «das schmerz-
Abbildung 1: Chondrodermatitis nodularis chronica helicis mit zentraler Epithelkruste (roter Pfeil)
Merk-
satz
q Absolut steriles Vorgehen ist im knorpeligen Anteil der Ohrmuschel unabdingbar, da sonst die Gefahr der Perichondritis droht.
hafte Ohrknötchen» im Jahr 1916 beschrieben und heisst deswegen im englischsprachigen Schrifttum auch «Winkler’s Disease». Weit überwiegend bei Männern (80%) jenseits des 40. Lebensjahrs entwickelt sich meist am oberen, vorderen freien Rand der Ohrmuschelhelix ein sehr schmerzhafter, Hühneraugen-ähnlicher, reisgrosser, solitärer Knoten, der eine blasse blau-rötliche oder gelbliche Farbe haben kann. Er fühlt sich derb an und ist mit dem darunter liegenden Knorpel verwachsen. Unter einer dünnen Epithelkruste (Abbildung 1, roter Pfeil) wird nach deren Entfernung ein kleines, eingezogenes Geschwür sichtbar. Histologisch weist das darunterliegende Korium chronisch-entzündliche Veränderungen mit Fibroblastenwucherung, Histiozyten und Riesenzellen auf (2). Die Lokalisation des schmerzhaften Ohrknötchens ist gewöhnlich einseitig, selten doppelseitig. Die Entstehung dieser Erkrankung ist unbekannt. Äussere Einflüsse wie mechanische Traumen (etwa durch Kopfhörer oder Gehörschutzkapseln) sowie Hitzeoder Kälteeinwirkung wurden schon früher in Zusammenhang mit einer gestörten Blutversorgung am oberen Pol der Ohrmuschel als denkbare Ursache diskutiert (3).
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© Alle Abbildungen Dr. med. Fritz Meyer
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Das schmerzhafte Ohrknötchen
Abbildung 2: Darwin-Höcker, eine harmlose Variante des Ohrmuschelreliefs
Weiteres Vorgehen
Da mit einer spontanen Abheilung nicht zu rechnen ist, zwingt die Stärke der Schmerzen in der Regel zu einer operativen Entfernung des kleinen Tumors. Die Exzision sollte nur der Erfahrene durchführen, denn sie muss deutlich bis in das gesunde Gewebe hineinreichen (4), da sonst Rezidivneigung besteht. Mit der Exzision erfolgt neben der Behandlung zugleich die notwendige differenzialdiagnostische Abgrenzung.
Differenzialdiagnostik
Gichttophi an der Ohrmuschel entwickeln sich oft über Jahre, sozusagen unter den Augen des Hausarztes, und sind zudem bei subkutaner Lokalisation nahezu schmerzfrei. In Zusammenhang mit einer beim Patienten bestehenden Hyperurikämie ist ihre Erkennung meist kein Problem. Viel wichtiger ist es, durch die Exzision das schmerzhafte Ohrknötchen gegen die verschiedenen Hautkrebsarten (Basaliome, Karzinome) abzugrenzen, die sich gerade an der dem Licht besonders ausgesetzten Ohrmuschel häufig finden. Eine Zwischenposition nimmt dabei das Cornu cutaneum ein, das ebenfalls bevorzugt am freien Rand der Ohrmuschel zu finden ist. Die typischen grossen Hauthörner gelten bei älteren Patienten als Präkanzerosen und müssen entfernt werden, während kleine Hauthörner bei Jugendlichen benigne sind (2). Eine harmlose Spielart der Natur ist hingegen der als atavistisches Residuum der Ohrmuschel aufzufassende Darwin-Höcker, den es in zahlreichen Variationen gibt und der als Homologon der tierischen Ohrspitze interpretiert wird (2). Dieser «Knoten» (Abbildung 2) macht weder Beschwerden, noch ist er behandlungsbedürftig. q
Literatur: 1. Winkler K. (1916): Das schmerzhafte Ohrknötchen. Arch Derm Syph (Berlin) 121: 278 zitiert n. 2. 2. Schätzle W., Haubrich J. (1975): Pathologie des Ohres. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York. 3. Halter K. (1936): Zur Pathogenese der Chondrodermatitis nodularis chron. helicis. Dermatol. Z. 73: 1271 zitiert n. 2. 4. Theissing G., Theissing J. (1975): Kurze HNOOperationslehre für Ärzte und Studierende. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
Dr. med. Fritz Meyer Facharzt für Allgemeinmedizin,
Sportmedizin, Facharzt für Hals-Nasen-
Ohrenheilkunde Mitarbeiter am Lehrauftrag für
Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät
der TU München D-86732 Oettingen/Bayern
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 3/2002. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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