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Schlafstörungen bei älteren Menschen
Vier häufige Schlafstörungen bei geriatrischen Patienten in der Allgemeinpraxis
G E R I AT R I C S
Klagen über schlechten Schlaf
sind bei älteren Menschen
häufig, müssen aber nicht als
normale Konsequenz des
Alterns einfach hingenommen
werden.
In ihrem Fortbildungsmodul stellt die Schlafspezialistin Sonia Ancoli-Israel, San Diego, die primären Schlafstörungen heraus: schlafassoziierte Atmungsstörungen und Apnoe-Syndrom, Restless-Legs-Syndrom und periodische Gliedmassenbewegungen, Störungen des zirkadianen Rhythmus sowie die Insomnie. Viele Konsequenzen von Schlafstörungen gelten als für das höhere Alter typisch, werden daher übersehen und bleiben unbehandelt. Zu diesen Folgen schlechten Schlafs gehören schlechteres Gedächtnis, verlangsamte Reaktionszeit, Konzentrationsstörungen, die alle als Demenzzeichen fehlinterpretiert werden können. Dabei ist der Weg zur Abklärung für Hausärztinnen und Hausärzte einfach: regelmässig Fragen zu den Schlafgewohnheiten stellen (denn von sich aus erwähnen die Patienten solche Probleme oft nicht). Ancoli-Israel nennt einige Schlüsselfragen: q Fühlen Sie sich während des Tages
schläfrig? q Schlafen Sie öfters zu Zeiten ein, da Sie
eigentlich wach bleiben wollen? q Sind Sie am frühen Abend schläfrig?
q Schlafen Sie beim Fernsehen oder Lesen ein und haben dann Mühe mit dem Einschlafen im Bett?
q Wachen Sie am Morgen früh auf, unabhängig von der Zeit des Zu-Bett-Gehens?
q Hat man Ihnen schon gesagt, dass Sie schnarchen, im Schlaf nach Luft ringen oder mit den Beinen ausschlagen?
q Was für Medikamente nehmen Sie ein, die den Schlaf stören könnten?
q Gibts es körperliche oder psychische Störungen, die Ihren Schlaf beeinträchtigen könnten?
Die Anworten auf diese Fragen können den Weg weisen zu geeigneten Therapien, vom Wechsel der Schlafzeiten über Beatmungsmasken zur Behandlung mit hellem Licht oder Änderungen bei der Einnahmezeit von Medikamenten.
Schlafapnoe
Primäre Symptome des Schlafapnoe-Syndroms sind lautes Schnarchen und exzessive Schläfrigkeit tagsüber. Aber auch kardiale Erkrankungen, Hypertonie und kognitive Beeinträchtigung, die alle im Alter häufiger sind, können mit Atmungsstörungen während des Schlafs einhergehen. 1993 fand eine Studie eine mit dem Alter deutlich zunehmende Prävalenz von Atemunterbrechungen während des Schlafs. So kommt es bei 10 Prozent der 30- bis 60-Jährigen, aber bei 60 Prozent der über 65-Jährigen zu mindestens zehn Atemstopps pro Schlafstunde. Teilweise, so die Autorin, sind dafür anatomische Veränderungen im Alter wie Verlängerung des weichen Gaumens, Zunahme pharyngealer Fettpolster, Veränderungen der knöchernen Struktur um die Rachenluftwege und eine reduzierte Antwort des M. genioglossus auf negative Druckveränderungen im Pharynx verantwortlich.
Merk-
punkte
q Schlafassoziierte Störungen der Atmung bei älteren Menschen können auf altersbedingte anatomische Veränderungen zurückgehen.
q Eine unbehandelte Depression führt häufig zu Insomnie – und eine unbehandelte Insomnie kann eine Depression begünstigen.
q Periodische Gliedmassenbewegungen und Restless Legs können mit Dopaminagonisten behandelt werden.
q Bei Störungen des zirkadianen Rhythmus kann zunächst eine Therapie mit hellem Licht versucht werden.
Die Schlafapnoe erhöht das Sterberisiko bei Patienten mit kongestiver Herzinsuffizienz signifikant. Bei Patienten mit schwerer Schlafapnoe werden oft kardiovaskuläre oder pulmonale Affektionen als Sterbeursache angegeben. Therapie der Wahl ist beim Schlafapnoe-Syndrom die kontinuierliche Beatmung mit positivem Druck (CPAP) über eine Maske. Diese Behandlung kann auch bei älteren, selbst leicht dementen Menschen eingesetzt werden. Die Überdruckbeatmung reduzierte auch bei Patienten mit leichtem M. Alzheimer das Schnarchen, die Tagesschläfrigkeit und die depressiven Symptome und führte so zur Entlastung der Angehörigen und Pflegenden.
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Schlafstörungen bei älteren Menschen
Daneben werden weitere Therapien wie speziell angefertigte Kieferschienen angeboten, die aber bei älteren Menschen mit Gebissprothesen nicht immer einfach anzuwenden sind. Zusätzliche therapeutische Empfehlungen bei Schlafapnoe gelten der Gewichtsabnahme, dem Rat, nicht auf dem Rücken zu schlafen (Tennisball) sowie der Vermeidung von Alkohol und Hypnotika wegen deren atemdepressiver Wirkung. Chirurgische Eingriffe an den oberen Atemwegen werden im Alter angesichts des Komplikationsrisikos nicht mehr empfohlen.
Periodische Gliedmassenbewegungen und Restless Legs
Das Syndrom der periodischen Gliedmassenbewegungen besteht in Zuckungen in 20- bis 40-Sekunden-Intervallen während der ganzen Nacht, die zu einem fragmentierten Schlaf durch kurzfristiges Aufwachen, Klagen über Insomnie und manchmal auch über Tagesschläfrigkeit führen. Verwandt damit ist das Restless-Legs-Syndrom (RLS) mit unangenehmen Sensationen in den Beinen, die nur durch Bewegung gelindert werden. Das RLS kann in der Einschlafphase, aber auch tagsüber bei Entspannung auftreten. Eine von Ancoli-Israel angeführte Studie fand, dass bei über 65-Jährigen 45 Prozent mit mindestens fünf Zuckungen pro Stunde die Diagnose periodischer Gliedmassenbewegungen erfüllten und 34 Prozent sogar zehn und mehr Zuckungen pro Schlafstunde aufwiesen. Als First-Line-Therapie für beide Syndrome empfiehlt Sonia Ancoli-Israel Dopaminagonisten, die die Zahl der Beinbewegungen und Aufwachepisoden reduzieren können (Tabelle 1).
Störungen des zirkadianen Rhythmus
Neben dem Schlaf-Wach-Takt finden sich zirkadiane Rhythmen auch bei Körpertemperatur, Hormonen (ACTH, Gonadotropine, Melatonin, TSH), kardiopulmonalen Funktionen (BD, Infarkthäufigkeit, Atmung), Medikamentenmetabolismus,
Tabelle 1: Ausgewählte Pharmakotherapie bei Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Insomnie
Medikament Dopaminagonisten: Carbidopa/Levodopa (z.B. Sinemet®)
Pramipexol (Sifrol®) Pergolid (Permax®)
Ropinirol (Requip®)
Gabapentin (Neurontin®)
Dosisempfehlung
Bemerkungen
25/100 mg
0,125 mg beim Zu-Bett-Gehen 0,05–1 mg
0,25–4 mg
600–2400 mg
bei RLS traditionell eingesetzt; kann eine Verstärkung auslösen (Verschiebung der Symptome auf die Tageszeit) neuerer Dopaminagonist; kann Schläfrigkeit verursachen in geteilten Dosen (bei Abendessen und Zu-Bett-Gehen); langsame Dosissteigerung notwendig; Verwirrtheit, Schläfrigkeit und periphere Ödeme ↑; ggf. Nierenfunktion überwachen in geteilten Dosen (bei Abendessen und Zu-Bett-Gehen); jede Dosis bei 0,25 mg beginnen, dann verdoppeln bis zu 1–2 mg pro Dosis ein Drittel der Dosis am Mittag, zwei Drittel um 20 h; Kreatin-Clearance überwachen und allenfalls Dosis anpassen
Magensäuresekretion und bei der Häufigkeit der REM-Phasen im Schlaf. Bei Erwachsenen tritt Schläfrigkeit normalerweise abends zwischen 10 und 11 Uhr ein, hält ungefähr 8 Stunden an und wird durch Aufwachen zwischen 6 und 7 Uhr morgens beendet. Ausgelöst wird die Schläfrigkeit durch einen Abfall der Kerntemperatur, beendet durch den Wiederanstieg in den Morgenstunden. Mit dem Altern wird dieser Rhythmus vorverschoben, sodass sich Schläfrigkeit schon abends um 7 oder 8 Uhr bemerkbar macht und das spontane Aufwachen etwa acht Stunden später, also frühmorgens um 3 oder 4 Uhr erfolgt. Die meisten älteren Menschen bemühen sich jedoch, am Abend länger wach zu bleiben. Da ihre Körpertemperatur aber dennoch in den frühen Morgenstunden ansteigt, wachen sie früh auf und haben so eine verkürzte Gesamtschlafzeit. Ein zweites bekanntes Phänomen ist das Einschlummern am früheren Abend mit konsekutiver Insomnie nach dem Zubettgehen um
10 oder 11 Uhr. In diesem Fall wird über Einschlafschwierigkeiten und gleichzeitig über zu frühes Aufwachen geklagt. Die Behandlung des vorverlegten Schlafrhythmus besteht in hellem Licht, vorzugsweise zwischen 7 und 9 Uhr abends. Ein einfacher Rat lautet, möglichst spät am Tag, aber noch bei hellem Tageslicht, im Freien zu spazieren, da dies zu späterer Schläfrigkeit und besserem Schlaf führt. Gehören Spaziergänge am frühen Morgen zu den Gewohnheiten, empfiehlt AncoliIsrael eine sehr dunkle Sonnenbrille zu tragen, da das Morgenlicht den Schlafrhythmus besonders stark vorverschiebt. Scheint die Sonne nicht ausreichend, ist eine Lichtbox-Exposition spät am Tag ebenfalls effektiv. Normales Raumlicht ist normalerweise nicht hell genug. Helles Licht ist nicht nur bei älteren Erwachsenen, sondern auch bei Patienten mit Demenz oder schwerem Alzheimer effektiv und nur bei einer positiven Anamnese für Manie kontraindiziert.
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Tabelle 2:
Medikamente und Drogen als Insomnien-Ursache
q Alkohol
q ZNS-Stimulanzien
q Betablocker
q Kalziumantagonisten
q Kortikosteroide
q Dekongestiva
q stimulierende Antidepressiva
q Bronchodilatatoren
q Schilddrüsenhormone
q Nikotin
Insomnie
Die Insomnie kann medizinische, psychiatrische und pharmakologische Ätiologien haben. So sind Schmerzzustände bei Arthrosen oder Karzinomen im Alter häufig. Auch neurologische Störungen wie Restless-Legs-Syndrom, Alzheimer- und andere Demenzen sowie M. Parkinson gehen mit Insomnie einher. Weitere häufige Ursachen für chronische Schlaflosigkeit im Alter sind Angina pectoris, kongestive Herzinsuffizienz, Asthma, COPD, Refluxkrankheit, Urininkontinenz und benigne Prostatahyperplasie. Bei geriatrischen Patienten ist die Depression eine der häufigsten Ursachen für Insomnie. Eine unbehandelte Depression kann zu Insomnie führen, aber umgekehrt kann auch eine Insomnie eine Depression begünstigen. Auch Angststörungen sind, neben Depressionen, bei alten Menschen, teilweise bedingt durch persönliche Ver-
Tabelle 3: Ausgewählte Pharmakotherapie bei Insomnie im Alter
Medikament Non-Benzodiazepine: Zolpidem (Stilnox®) Zaleplon (Sonata®)
Dosisempfehlung
5–10 mg beim Zubettgehen 5–10 mg beim Zubettgehen
Benzodiazepine: Temazepam (Normison®) Antidepressiva: Sertralin (Gladem®, Zoloft®)
7,5 mg 50 mg morgens
Fluoxetin (Fluctine® u. Generika)
20 mg morgens
Mirtazapin (Remeron®)
15 mg beim Zubettgehen
Bemerkungen
kann bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen eingesetzt werden kann bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen eingesetzt werden; kann dank kurzer Halbwertszeit auch während der Nacht eingenommen werden
vor Verschreibung obstruktives Schlafapnoe-Syndrom ausschliessen
gut verträglich; Antidepressivabehandlung bei klinischer Depression in jedem Alter indiziert wie für Sertralin; bei Pat. über 65 Jahre, Begleiterkrankungen oder vielen Begleitmedikationen tiefere Dosis oder längere Dosisintervalle erwägen erwies sich bei Depression mit schwerer Insomnie den SSRI als überlegen
lusterlebnisse, soziale Veränderungen und
Wohnungs- oder Pflegewechsel häufig.
Multiple Medikationen, bei alten Menschen
sehr oft anzutreffen, können Insomnie
verursachen. Bekannte medikamentöse
Verursacher von anhaltender Schlaflosig-
keit nennt Tabelle 2. Gelegentlich helfen
hier Dosisanpassungen oder eine bessere
Organisation der Einnahmezeiten.
Tabelle 3 zeigt die Hinweise der Autorin
zur pharmakologischen Therapie von
Insomnie und Restless-Legs-Syndrom bei
alten Patienten.
q
Sonia Ancoli-Israel (University of California, San Diego/USA): Sleep disorders in older adults. Geriatrics 2004; 59: 37–40.
Halid Bas
Interessenlage: Die Autorin deklariert Beraterinnentätigkeiten bei King Pharmaceuticals. Die Originalpublikation wurde durch einen Unrestricted Educational Grant der Firma Sanofi-Synthélabo gesponsert.
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