Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Prävention von Hüftfrakturen
Medikamentöse und nichtmedikamentöse Massnahmen
POSTGRADUATE MEDICINE
Kalzium und Vitamin D sind
neben der Ermunterung zu
Körperübungen und Program-
men zur körperlichen Betäti-
gung sicher das Fundament
der Osteoporosetherapie.
Den folgenschweren Hüft-
frakturen lässt sich zusätzlich
durch Verhaltenstraining,
Hüftprotektoren sowie
verschiedene antiresorptive
Wirkstoffe vorbeugen.
Bei älteren Frauen gehen 90 Prozent der Hüftfrakturen auf das Konto der Osteoporose. Nach einer Schenkelhalsfraktur sterben 20 Prozent der Betroffenen innerhalb eines Jahres, und nur 40 Prozent erlangen ihre frühere Mobilität zurück. Dies sind geläufige, aber unverändert alarmierende Zahlen, die den verheerenden Einfluss eines solchen Ereignisses auf den Geamtgesundheitszustand und die Lebensqualität der Betroffenen noch nicht einmal wiedergeben. Zu Hüftfrakturen sollte es also erst gar nicht kommen. Die Realität sieht leider oft anders aus, schreibt Justus J. Fiechtner in seiner Darstellung der Präventionsmöglichkeiten in
«Postgraduate Medicine». Hauptanlass zur Beratung über die Osteoporose und ihre Verhütung ist in der täglichen Praxis sehr oft erst die Diagnose einer Osteoporose oder Osteopenie. Das lässt darauf schliessen, dass den vielfachen Risikofaktoren keine Beachtung geschenkt und auch in indizierten Fällen keine Messung der Knochenmineraldichte (KMD) veranlasst wird. Fiechtner beschäftigt sich nach diesen mahnenden Worten mit den nichtpharmakologischen und pharmakologischen Interventionen zur Prävention von Hüftfrakturen.
Nichtpharmakologische Interventionen
Eine Studie konnte belegen, dass ein aggressives Interventionsprogramm mit Anpassungen bei der Medikation, Verhaltensinstruktionen und Körperübungen bei den Teilnehmenden die Zahl der Stürze um 25 Prozent verminderte. Hüftprotektoren, die bei einem Sturz die Fallenergie auf die umgebenden Weichteile verteilen, können das Frakturrisiko über 80 Prozent reduzieren – wenn sie regelmässig getragen werden. Regelmässiges körperliches Training kann den Knochenverlust verringern und zur Erhaltung oder Verbesserung der Knochenmineraldichte bei älteren Menschen beitragen. Ein eigentliches Übungsprogramm kann auch das Frakturrisiko mindern, weil das Risiko von Stürzen bei besser Trainierten dank mehr Muskelkraft und besserer Balance abnimmt. Der Effekt des körperlichen Trainings auf die Knochenmineraldichte ist im Alter zwar klein, aber epidemiologische Daten deuten doch darauf hin, dass körperliche Aktivität bei älteren Menschen die Häufigkeit von Hüftfrakturen beinahe halbiert. Die Auf-
Merk-
sätze
q Regelmässiges körperliches Training kann den Knochenverlust verringern und zur Erhaltung oder Verbesserung der Knochenmineraldichte bei älteren Menschen beitragen.
q Ein eigentliches Übungsprogramm kann auch das Frakturrisiko mindern, weil das Risiko von Stürzen bei besser Trainierten dank mehr Muskelkraft und besserer Balance abnimmt.
q Supplemente von Kalzium und Vitamin D können das Hüftfrakturrisiko eindeutig senken.
q Bisphosphonate sind wirkungsvolle antiresorptive Substanzen, die in klinischen Studien unter Beweis gestellt haben, dass sie das Hüftfrakturrisiko bei postmenopausalen Frauen zu senken vermögen.
q Für Raloxifen und Calcitonin ist die Datenlage hinsichtlich Hüftfrakturverhütung weniger eindeutig.
q Für besonders schwierige Osteoporosefälle steht neuerdings ein gentechnisch hergestelltes Parathormon als Reservemedikament zur Verfügung.
forderung zu mehr körperlicher Betätigung sollte natürlich früher einsetzen, mit dem Ziel einer möglichst hohen Knochenmasse im frühen Erwachsenenalter und
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Prävention von Hüftfrakturen
eines geringeren altersabhängigen Knochenverlusts.
Kalzium und Vitamin D Supplemente von Kalzium und Vitamin D können das Hüftfrakturrisiko eindeutig senken. Zu dieser Erkenntnis kam schon 1992 eine kontrollierte Studie über 18 Monate mit täglich 1,2 g Kalzium und 20 µg (800 IU) Cholecalciferol (Vitamin D3) beziehungsweise Doppelplazebo. Unter Kalzium-Vitamin-D-Supplementation liess sich eine Reduktion des Hüftfrakturrisikos um 43 Prozent nachweisen (p = 0,043). Seither haben die meisten Studien zur Prävention und Therapie der Osteoporose und zur Erfassung des Frakturrisikos sowohl in den Behandlungs- wie in den Plazeboarmen Supplemente von Kalzium und/oder Vitamin D vorgesehen.
Pharmakologische Interventionen
In klinischen Studien unterschieden sich die Medikamente zur Behandlung der Osteoporose in ihrer Fähigkeit zur Reduktion von Hüft- und anderen Nichtwirbelfrakturen bei Frauen mit postmenopausaler Osteoporose. Neuere Daten deuten darauf hin, dass sich weniger Wirbelfrakturen schon mit geringen Zunahmen der Knochenmineraldichte erzielen lassen, während es zur Verhütung von Hüft- und anderen Extremitätenfrakturen sowohl einer Unterdrückung des Knochenumbaus wie einer Erhöhung der Knochenmineraldichte bedarf. Die Reduktion des Knochenturnovers durch antiresorptive Medikamente erreicht mit Bisphosphonaten (oder Östrogen) innerhalb einiger Wochen ein Plateau, bei Raloxifen oder Calcitonin dauert dies mehrere Monate. Die Veränderungen des Knochenumbaus fallen im Allgemeinen unter Calcitonin oder Raloxifen geringer aus als unter Bisphosphonaten oder Hormonersatztherapie. Raloxifen und nasal applizierbares Salm-Calcitonin führen zu geringen Anstiegen der Knochenmineraldichte, reduzieren aber das Risiko von Wirbelfrakturen. Diese Risikoreduktion ist fast so gross wie unter Risedronsäure oder
Alendronsäure, tritt jedoch nicht so rasch auf. In den neueren Studien wurde mit Risedronsäure und Alendronsäure eine Reduktion der Nichtwirbel- und Hüftfrakturen erreicht, nicht aber mit Raloxifen und Calcitonin.
Bisphosphonate Bisphosphonate sind wirkungsvolle antiresorptive Substanzen, die in klinischen Studien unter Beweis gestellt haben, dass sie das Hüftfrakturrisiko bei postmenopausalen Frauen zu senken vermögen. Die klinische Wirksamkeit von Risedronsäure (Actonel®), einem Drittgenerationbisphosphonat, ist in vielen Studien untersucht worden. Das «Hip Intervention Program» erfasste die Wirkung von Risedronsäure auf das Hüftfrakturrisiko bei 9331 älteren Frauen. Eine Behandlungsgruppe umfasste Frauen zwischen 70 und 79 Jahren mit bestätigter Osteoporose (tiefe KMD am Schenkelhals) und mindestens einem weiteren Risikofaktor, die andere Frauen über 80 Jahre mit mindestens einem klinischen Risikofaktor. Dies ist bisher die einzige prospektive Studie, bei der die Auswirkung auf Hüftfrakturen primärer Endpunkt war. Während drei Jahren traten 232 Hüftfrakturen auf. Risedronsäure reduzierte das Hüftfrakturrisiko bei Frauen mit bestätigter Osteoporose um 39 Prozent (p = 0,02) und bei Frauen mit bestätigter Osteoporose und einer Wirbelfraktur zu Studienbeginn sogar um 58 Prozent (p = 0,004). Die Gesamtreduktion des Hüftfrakturrisikos, die auch viele Frauen über 80 Jahre ohne bestätigte Osteoporose umfasst, betrug 30 Prozent (p = 0,02). Auch weitere Studien belegen eine signifikante, klinisch ins Gewicht fallende Risikoreduktion bei Nichtwirbelfrakturen. Weniger einheitlich fielen die Ergebnisse hinsichtlich Hüftfrakturprophylaxe mit Alendronsäure (Fosamax®), einem Zweitgenerationbisphosphonat, aus. Im «Fracture Intervention Trial» ergab sich bei Frauen mit tiefer KMD ohne prävalente Wirbelfrakturen keine signifikante Reduktion bei Hüft- und Nichtwirbelfrakturrisiko. In einem anderen Therapiearm bei Frauen mit tiefer Schenkelhals-KMD und
Wirbelfrakturen verringerte Alendronsäure jedoch das Risiko für Hüftfrakturen signifikant um 51 Prozent (p < 0,05), dasjenige für alle Nichtwirbelfrakturen zusammen nichtsignifikant um 20 Prozent (p = 0,063). Eine weitere Studie verlief hinsichtlich peripherer Frakturen negativ. Eine andere Studie mit 10 mg Alendronsäure täglich über ein Jahr sah das Risiko von nichtvertebralen Frakturen signifikant um 47 Prozent vermindert, berichtete aber nicht gesondert über die Hüftfrakturen. Die Studien zur Hormonersatztherapie waren zunächst widersprüchlich, die «Women’s Health Initiative» (WHI) belegte, dass die postmenopausale Hormongabe 5 Hüftfrakturen pro 10 000 Frauenjahre verhindern kann – ergab aber auch eine Gefährdung durch thromboembolische Ereignisse, die diese Behandlungsoption diskreditiert hat. Nach Alternativen, zum Beispiel Phytoöstrogenen (Isoflavonen) aus Sojaprodukten, wird inzwischen intensiv gesucht. Raloxifen und Calcitonin Raloxifen (Evista®), ein selektiver Östrogenrezeptormodulator, konnte in der dreijährigen «Multiple Outcomes of Raloxifene Evaluation» weder das Risiko fürHüft- noch für sämtliche Nichtwirbelfrakturen signifikant senken. Nasal appliziertes Salm-Calcitonin (Miacalcic®) reduzierte das Fünfjahresrisiko für Hüft- und sämtliche Nichtwirbelfrakturen bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose und vorbestehenden Wirbelfrakturen signifikant. Die Studie wurde jedoch wegen fehlender Dosis-Wirkungs-Beziehung, geringer Patientinnenzahlen und methodologischer Schwächen kontrovers diskutiert, wie Fiechtner darlegt. Neuerdings steht ein gentechnisch hergestelltes, 34 Aminosäuren langes Fragment des physiologischen Parathormons (rhPTH[1–34], Teriparatid, Forsteo®) zur Behandlung postmenopausaler Frauen mit manifester Osteoporose und hohem Frakturrisiko zur Verfügung. Im Gegensatz zu den bisherigen antiresorptiven Wirkstoffen stimuliert Parathormon bei intermittierender Injektion in kleinen Dosen 150 A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4 FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE Prävention von Hüftfrakturen (z.B. 20 oder 40 µg/Tag) die Osteoblasten und somit den Knochenaufbau. In einer Studie bei Frauen mit vorbestehenden Wirbelfrakturen betrug die Risikoreduktion für neue Nichtwirbelfrakturen mit den beiden Dosierungen 35 Prozent (p = 0,04) beziehungsweise 40 Prozent (p = 0,02). Für die Beurteilung der Wirkung auf Hüftfrakturen waren die Ereigniszahlen zu klein. Die genaue Rolle von Parathormon im Management der Osteoporose muss noch genauer definiert werden, so Fiechtner, es bleibt vorderhand sicher Reservemedikament für besonders schwierige Fälle. Therapieüberwachung Obwohl die Bestimmung der Knochenmineraldichte als Mass zur Abschätzung der Therapieeffektivität Tradition hat, wird der kurzfristige Wert dieses Parameters neuerdings kritischer gesehen. KMD-Verän- derungen nach einem Jahr Therapie reflektieren nicht notwendigerweise die Adäquatheit der Therapie, gibt Fiechtner zu bedenken. So hat eine neuere Studie die grossen Studien mit Alendronsäure und Risedronsäure analysiert. Die Autoren fanden dabei, dass Frauen, die während des ersten Behandlungsjahrs an KMD noch verlieren, im zweiten Jahr eine KMDZunahme erfahren, wenn die Therapie fortgesetzt wird. Die KMD-Abnahme im ersten Jahr entspricht dabei wohl weitgehend einer Regression zum Mittelwert und spricht dafür, eine effektive Osteoporosetherapie nicht abzusetzen, wenn eine Wirkung auf die KMD zunächst ausbleibt. Beim Studium von Studienergebnissen hat man sich auch vor Augen zu halten, dass zwischen Zunahme der KMD und Reduktion des Frakturrisikos keine direkte Korrelation besteht, denn diese Beziehung ist komplex und wahrscheinlich für Wirbel- und Nichtwirbelfrakturen von unterschiedlicher Art. Dies schränkt die Verwendung der KMD als Surrogatmarker doch einigermassen ein, was übrigens auch für andere Marker des Knochenzustands gilt. Wirklich klinisch relevant ist die gemessene Reduktion der Frakturen in gut geplanten Studien, die diese auch als primären Studienendpunkt hatten. Justus J. Fiechtner (Colleges of Human and Osteopathic Medicine, Michigan State University, East Lansing/USA): Hip fracture prevention. Postgrad Med 2003; 114, No. 3: 22–28. q Halid Bas Interessenlage: Der Autor der Originalpublikation deklariert Vortragshonorare der Firmen Proctor & Gamble, Merck, Novartis und Eli Lilly. 152 A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4