Transkript
ARZT UND PATIENT q MÉDECIN ET PATIENT
Arzt-Patient-Beziehung und Pharmawerbung
Eine Umfrage zur Direct-to-Consumer-Werbung für Medikamente aus den USA
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Werbung für verschreibungs-
pflichtige Präparate in Heften
und Zeitungen sowie am
Fernsehen: Amerikanische
Konsumenten und Ärzte
sehen das recht differenziert
– aber nicht immer gleich.
In den Vereinigten Staaten ist die direkte Anpreisung von Medikamenten beim breiten Publikum («direct-to-consumer»: DTC) eine Erfolgsgeschichte, jedenfalls was die Umsätze betrifft. Sie erreichten im Jahr 2000 zweieinhalb Milliarden Dollar, eine Verdreifachung gegenüber 1996. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig, wie Andrew R. Robinson und Mitarbeiter in der Einleitung zu ihrer Studie bei Ärzten und Konsumenten festhalten. Zunächst hat die Food and Drug Administration (FDA) die Einschränkungen bei der Fernsehwerbung gelockert. Weiter wird in den Medien und im Internet überhaupt vermehrt über Gesundheitsthemen berichtet, worauf die Industrie reagieren wollte. Schliesslich dürfte die DTC-Werbung auch eine Antwort auf die zunehmend verbreiteten Positivlisten mancher Managed-Care-Organisationen sein, gegen die über die Patienten Einfluss genommen werden soll. Und nicht zuletzt verlangen Konsumenten eine aktivere Rolle, wenn es um Fragen ihrer Gesundheit geht.
Mehr DTC-Werbung = mehr Medikamentenkosten Befürworter der DTC-Werbung bringen vor, dass jene eine Gelegenheit für eine bessere Patientenschulung sei und den Dialog mit dem Arzt auf gute Weise fördere. Für den erzieherischen Wert der Werbebotschaften ans breite Publikum stehen jedoch schlüssige Beweise aus. Kritiker halten fest, dass DTC-Anzeigen oder -Werbespots unvollständige oder voreingenommene Informationen enthalten können, die zu unangemessener Verschreibung von Medikamenten und zur Inanspruchnahme wertvoller Konsultationszeit führe. Befürworter und Gegner scheinen sich jedoch darin einig, dass die DTC-Werbung zu einem Anstieg beim Einsatz verschreibungspflichtiger Medikamente und zu höheren Kosten führt.
Mehr DTC-Werbung = Mehr Druck auf die Sprechstunde Bisherige Studien zeigten, dass die DTCWerbung das Verhalten von Konsumenten und Ärzten beeinflusst, Diskussionen zwischen Patienten und Ärzten stimuliert und eine Nachfrage nach ganz bestimmten Rezepten fördert. In einer nationalen Erhebung der «Kaiser Family Foundation» sagten 30 Prozent der erwachsenen USAmerikanerinnen aus, dass sie ärztliche Auskünfte zu beworbenen Medikamenten eingeholt hätten, und 44 Prozent davon gaben zu Protokoll, dass sie das Rezept für das gewünschte Medikament auch tatsächlich erhielten. Andere Studien fanden, dass Patienten, die die Werbebotschaft zu einem Medikament empfangen dieses vom Arzt auch eher verlangen und öfter verschrieben erhalten, selbst wenn ärztlicherseits Vorbehalte bestehen. In einer Untersuchung sagten 71 Prozent der Hausärzte, dass sie sich
durch Patientenforderungen nach bestimmten Medikamenten unter Druck gesetzt fühlten, diese auch dann zu verschreiben, wenn sie es normalerweise nicht tun würden. DTC-Werbung hat auch einen Einfluss auf die Zufriedenheit von Patient und Arzt mit der Konsultation. Die meisten Ärzte sehen die DTC-Werbung negativ. Eine Studie bei Patienten, die hypothetische Szenarien einsetzte, ergab, dass 46 Prozent der Patienten unzufrieden wären, sollten sie das verlangte Medikament nicht erhalten, und dass 25 Prozent versuchen würden, die Meinung des Arztes aktiv in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Eine Umfrage bei Ärzten und Patienten Die vorliegende Studie aus Denver, Colorado, wollte direkt die allgemeine Einschätzung von Ärzten und Patienten vergleichen und spezifisch untersuchen, welche Effekte die an die Konsumenten gerichtete Pharmawerbung auf die ArztPatient-Beziehung hat. Dazu wurden je 1000 zufällig ausgewählte Ärztinnen und Ärzte aus Colorado und landesweit angefragt. Ihnen wurden die Telefoninterviews von 500 Bürgerinnen und Bürgern des Bundesstaats zur Seite gestellt. Bei Rücklaufraten von 58,4 Prozent (Colorado) und 29,5 Prozent (landesweit) füllten die Teilnehmer in freier ärztlicher Praxis (knapp die Hälfte in der Grundversorgung) einen Fragebogen mit vorgegebenen Feststellungen zum Thema DTC-Werbung aus. Die Stichproben waren sich recht ähnlich, es waren gegenüber dem Landesdurchschnitt aber mehr Primärversorger und mehr Arztpraxen in ländlicher Umgebung vertreten. Ärzte und Patienten beantworteten die Fragen zum Teil in etwa gleichsinnig, zum
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Teil aber auch bemerkenswert gegensätzlich, wie der Kasten zeigt. Die Haltung der befragten Ärzte zu den DTC-Anzeigen im Allgemeinen waren überwiegend negativ. Die Ärzte sind der Meinung, dass in dieser Werbung zu wenig Informationen über Kosten, Therapiealternativen oder Nebenwirkungen geboten werden. Die meisten glauben, dass so der Gesamtverbrauch an Medikamenten steigt und dass eine bessere Reglementierung vonnöten ist. Hinsichtlich ihrer Interaktion mit den Patienten glauben die meisten Ärztinnen und Ärzte (drei Viertel der Antwortenden waren Männer), dass die DTC-Werbung oft dazu führt, dass Patienten von ihnen bestimmte Medikamente verlangen, ferner dass sie die Patientenerwartungen verändert und den Zeitaufwand für die Konsultation mit dem Patienten verlängert. Allgemeinmediziner äusserten sich deutlich kritischer als Spezialisten. Dass diese Art von Werbung aber – mindestens manchmal – einen verändernden Einfluss auf ihr Verschreibungsverhalten habe, mochten nur 23,5 Prozent bejahen, wobei zwischen Primärversorgern und Spezialisten kein Unterschied bestand. Unter den Befragten aus dem von dieser Art Werbung anvisierten Publikum waren Frauen deutlich übervertreten. Fast alle sagten, sie hätten schon eine Medikamentenreklame gesehen, am häufigsten am Fernsehen (94,2%), gefolgt von Zeitschriften und Zeitungen (91,1%). Die Anwortenden aus dem Publikum waren eher bereit, in der DTC-Werbung eine positive Entwicklung zu sehen, aber die meisten fanden ebenfalls, dass zu wenig Informationen über Kosten und Alternativen geboten würden. Dass Anzeigen und Werbespots die Gesundheitskosten in die Höhe treiben, entsprach der Einschätzung von mehr als der Hälfte der Konsumenten. Gut ein Viertel der Antwortenden aus dem Publikum fand sich zwar aufgrund der Werbebotschaften über medizinische Probleme besser informiert, nur sehr wenige gaben aber an, wegen dieser Informationen medizinische Hilfe gesucht, ein bestimmtes Medikament verlangt, an ihren Arzt andere Erwartungen gehabt
Einschätzungen von Ärzten und Konsumenten zu öffentlichen Anzeigen für verschreibungspflichtige Medikamente
Machen Pat./mich besser über medizinische Probleme informiert
Motivieren Pat./mich ärztliche Hilfe zu suchen Bieten genügend Informationen über andere Therapien Informieren Pat./mich ausreichend über Nebenwirkungen Geben genug Informationen über die Medikamentenkosten Haben dazu geführt, dass Pat./ich nach spezifischen
Medikamenten verlange(n) Ändern die Erwartungen von Pat./mir an den/meinen Arzt Führen zu geringeren Medikamentenkonsten Sind ein positiver Trend im Gesundheitswesen Erhöhen den Zeitaufwand mit dem Patienten Verändern meine Verschreibungsgewohnheiten Erhöhen den Gesamtverbrauch an Medikamenten Müssen besser reglementiert werden Erhöhen die Kosten der medizinischen Versorgungen
Ärzte 42,9%
64,4% 5,1% 45,2% 1,3%
80,7% 67,0% 3,5% 9,8% 55,9% 23,5% 61,9% 68,8%
–
Patienten 28,6%
10,5% 15,1% 51,6% 5,4%
13,3% 11,3% 3,2% 29,0%
– – – – 53,8%
oder ein beworbenes Medikament vorgezogen zu haben. Konsumenten mit tiefem sozioökonomischem Hintergrund gaben eher an, wegen DTC-Werbung schon medizinische Hilfe gesucht zu haben.
Keine Werbung ohne Wirkung Die Autoren sehen sich in ihrer offenbar kritischen Haltung zur DTC-Werbung für Medikamente durch die Resultate bestätigt. Zwar glaubt eine Mehrheit der Ärzte, dass die DTC-Werbung ihren Zeitaufwand für die Patienten erhöht, ob sie dies negativ oder positiv einschätzen, wurde jedoch nicht gefragt. Frühere Studien fanden, dass ältere Menschen, die eher krank sind und Medikamente benötigen, eine positivere Einschätzung von bei ihnen direkt beworbenen Präparaten haben. Hier konnte dies nicht bestätigt werden. Der augenfällige Unterschied in der Einschätzung des Werbeeinflusses auf das Verhalten der Patienten kann verschiedene Ursachen haben. Nicht alle Konsumenten sind auch Patienten mit Arztkontakten. Die Werbebotschaften richten sich jeweils auch an bestimmte Zielgruppen, die nicht auf alle Konsumenten übertragbar sind. Ärzte können den Effekt dieser Werbung überschätzen, vor allem wenn
sie eine negative Meinung davon haben. Vielleicht unterliegen aber auch die Konsumenten in ihren Anworten einer gewissen Selbsttäuschung, da sie gar nicht erkennen, dass sie durch Werbung beeinflusst wurden, und so deren Wirkung unterschätzen. Ähnliches liesse sich übrigens auch von der an die Ärzteschaft gerichteten Werbung sagen. Real messbar ist beides nur beschränkt. Die Autoren räumen zwar auch einige Einschränkungen in der Methodik ihrer Studie ein, sehen aber doch eine wichtige Botschaft: Selbst wenn nur relativ wenige Konsumenten auf die DTC-Werbung ansprechen, hat dies auf die Ärzte und die Arzt-Patient-Beziehung einen signifikanten Einfluss.
Andrew R. Robinson et al. (Divison of
General Internal Medicine, University of
Colorado Health Sciences, Denver/USA):
Direct-to-Consumer Pharmaceutical Ad-
vertising. Arch. Intern. Med. 2004; 164:
427–432.
q
Halid Bas
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine relevanten finanziellen Interessen.
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