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Dramatische Zunahme der Antibiotikaresistenzen
Bei Harnwegsinfektionen sind neue Strategien gefordert
«Falscher und übermässiger Einsatz von Antibiotika ist eines der weltweit dringlichsten Gesundheitsprobleme. Alle Urologen müssen auf dieses Problem reagieren, hauptsächlich durch die Kenntnis und konsequente Umsetzung der relevanten medizinischen Leitlinien», forderte Prof. Dr. Robert Pickard von der Universität Newcastle, Grossbritannien.
Rezidivierende Harnwegsinfektionen (HWI) bei Frauen gehören zum täglichen Brot der Urologen und sind ein häufiges Gesundheitsproblem mit einer Prävalenz von 120 pro 100 000 Personen. Zwar kann durch die prophylaktische Gabe von Antibiotika das HWI-Risiko um 85 Prozent gesenkt werden. Eine vom Patienten selbst initiierte Kurzzeit-Antibiotikatherapie über drei Tage reicht zudem zur Rückbildung der Symptome und zum Erreichen einer mikrobiologischen Heilung aus. Die Einnahme von Antibiotika bei einer unkomplizierten HWI reduziert die Symptomdauer um durchschnittlich ein bis zwei Tage gegenüber dem Einsatz von Analgetika sowie einer grossen Trinkmenge. Dennoch sollte der Arzt die zunehmenden Resistenzentwicklungen im Auge behalten, gab Pickard zu bedenken. Denn der unsachgemässe und zu häufige Einsatz dieser Substanzen hat zu einer dramatischen Zunahme von Resistenzen geführt.
Take Home Messages
• Antibiotikaresistenzen nehmen dramatisch zu. Deshalb sollten bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen auch alternative Interventionen in Erwägung gezogen werden.
• Mit einer leitliniengerechten Therapie können nicht nur Resistenzen vermieden, sondern auch Kosten eingespart werden.
Wie schnell Resistenzentwicklungen auftreten, ist am Beispiel der HWI gut zu dokumentieren. Das erste klinisch relevante Ereignis war die Bildung von β-Lactamase durch Escherichia coli in den Achtzigerjahren, was zu einer Resistenz von über 90 Prozent der Stämme gegen Penicillin geführt hat. Die dadurch notwendig gewordene Umstellung der Verschreibungen auf Trimethoprim und Trimethoprim-Sulfamethoxazol zog in den Neunzigerjahren eine Resistenzentwicklung von E. coli gegen diese Substanzen nach sich. Heute sind je nach Region 35 bis 75 Prozent der Keime gegen diese Antibiotika resistent. Daraufhin wurden die seit 1987 verfügbaren Fluoroquinolone wie Ciprofloxacin zunehmend zur Therapie der HWI verschrieben, obwohl Experten vor dem allzu häufigen Einsatz warnten und die Behandlung mit diesen Substanzen auf die Therapie von lebensbedrohlichen Infektionen beschränken wollten. Aufgrund der häufigen Verschreibungen überraschte es deshalb nicht, dass während der letzten zehn Jahre viele E.-coli-Stämme Resistenzen gegen Fluoroquinolone entwickelten.
Ärzte sollten regionale Resistenzmuster kennen
Mittlerweile sind in den meisten europäischen Ländern 10 bis 25 Prozent der E.-coliStämme gegen diese als eine der besten Keimkiller gefeierten Substanzen resistent, in Süd- und Südosteuropa sogar über 50 Prozent. Wie Pickard weiter ausführte, werden mittlerweile wieder ältere Antibiotika wie Nitrofurantoin und Fosfomycin genutzt, die zwar weniger effektiv sind als die neueren Substanzen, aber auch weniger Resistenzen induzieren. Als Konsequenz aus der Resistenzlage fordern Experten, dass die verordnenden Ärzte die Resistenzmuster in ihrem Land gegen spezifische Antibiotika kennen müssten. Wie Pickard weiter ausführte, können zur Prävention und Therapie von HWI als Alternative zu Antibiotika andere Substanzen eingesetzt werden. Dazu gehören Analgetika und Kaliumcitrat zur Linderung der Symptome sowie die vaginale Östrogenapplikation und die orale Gabe von Methenamin hippurat als Antiseptikum. Weitere Antibiotikaalternativen sind die Therapie mit UroVaxom® und D-Mannose, die den aktuellen Leitlinien der EAU zufolge als nützlich empfohlen werden (1).
Leitlinienbefolgung spart Kosten Pickard empfahl eindringlich, dass sich die Urologen beim Einsatz von Antibiotika an die Leitlinien halten (1). Dort wird unter anderem betont, dass die Prophylaxe mit Antibiotika bei rezidivierenden HWI erst dann erfolgen sollte, nachdem Versuche mit Beratung und Verhaltensänderungen ohne Erfolg geblieben sind. Dass das in den Leitlinien empfohlene Vorgehen bei der prophylaktischen Gabe einen Nutzen auch hinsichtlich der Kosten bringt, zeigte eine in Madrid als Poster präsentierte Studie (2). Darin wurde eine Periode vor und nach der Befolgung der EAU-Leitlinien in einer urologischen Abteilung analysiert. Die Autoren werteten Daten von 2619 Behandlungen vor und 3529 nach Veröffentlichung der EAU-Leitlinien aus. Im Ergebnis betrugen die direkten Kosten bei der leitliniengerechten Therapie 36 700 Euro und die indirekten Kosten 29 560; sie waren damit statistisch signifikant niedriger als im Zeitraum ohne die Berücksichtigung der Empfehlungen (76 980 und 45 870 Euro). Insgesamt wurden 342 Isolate von Patienten mit symptomatischen postoperativen Infektionen analysiert. Die Resistenzraten von E. coli gegen Piperacillin/Tazobactam, Gentamicin und Ciprofloxacin verringerten sich unter der leitlinienegerechten Therapie signifikant.
Ralph Hausmann
Referenzen: 1. EAU Guideline document on urologigal infections. http://uroweb.org/wp-content/uploads/18_ Urological-infections_LR.pdf 2. Cai T et al. Adherence to European Association of Urology guidelines on prophylactic antibiotics: An important step in antimicrobial stewardship. Eur Urol Suppl 2015; 14/2; e136.
Quelle: Plenary Session 3: Functional urology: Hot topics below the belt. State-of-the-art-lecture anlässlich des EAU-Jahreskongresses, 20. bis 24. März 2015 in Madrid.
10 Urologie • Juni 2015