Transkript
Chronische funktionelle Obstipation
Rationales Management erforderlich
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Die chronische funktionelle Obstipation kommt im klinischen Alltag häufig vor. Eine sorgfältige Diagnostik ist erforderlich, um organische Ursachen auszuschliessen. Neben einer Änderung der Lebensgewohnheiten und einer Umstellung der Ernährung spielen Laxanzien eine wichtige Rolle bei der Therapie. Besonders empfehlenswert ist Macrogol. Neben einer guten Verträglichkeit ist das Kosten-Effektivitäts-Verhältnis günstig. Macrogol 4000 ist geschmacksneutral.
Bei der funktionellen (primären) Obstipation kann keine zugrunde liegende Erkrankung gefunden werden. Die Prävalenz liegt bei 2 bis 35 Prozent. Frauen und ältere Menschen sind häufig betroffen. Zumeist treten subjektive Beschwerden auf, zu denen feste Stuhlkonsistenz, ein Gefühl der unvollständigen Entleerung, starkes Pressen und Defäkationsdrang zählen können (1). Die Stuhlfrequenz ist niedrig. Eine Obstipation als Störung mit weniger als drei Stuhlgängen pro Woche zu definieren, kann jedoch dazu führen, dass die Erkrankung nicht erkannt wird.
Merksätze
O Die chronische funktionelle Obstipation wird anhand der ROM-III-Kriterien beurteilt.
O Eine sorgfältige Diagnostik ist erforderlich, um sekundäre Ursachen auszuschliessen. Insbesondere bei Alarmzeichen (Gewichtsverlust, Blut im Stuhl) muss eine weiterführende Diagnostik durchgeführt werden.
O Bei funktioneller chronischer Obstipation können zusätzliche Untersuchungen wie die Bestimmung der Kolontransitzeit oder die Analmanometrie zur Unterscheidung der Subgruppen erforderlich sein.
O Neben einer Änderung der Lebensführung sowie einer Umstellung der Ernährung stellen Laxanzien eine wichtige Säule der Therapie dar.
O Besonders zu empfehlen ist Macrogol (Evidenzgrad A). Zum Einsatz kommen Macrogol 3350 und Macrogol 4000. Das Kosten-Effektivitäts-Verhältnis von Macrogol ist günstig.
Eine höhere Zuverlässigkeit bieten die ROM-III-Kriterien. Innerhalb der letzten 6 Monate müssen in 3 Monaten mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt werden: O Pressen bei mehr als 25 Prozent der
Stuhlgänge O harter Stuhl bei mehr als 25 Prozent der
Stuhlgänge O Gefühl der unvollständigen Entleerung
bei mehr als 25 Prozent der Stuhlgänge O Gefühl der anorektalen (den After und
Mastdarm betreffende) Enge bei mehr als 25 Prozent der Stuhlgänge O manuelle Unterstützung, um Stuhlgang zu ermöglichen, in mehr als 25 Prozent der Stuhlgänge O weniger als drei Stuhlgänge pro Woche O weicher, ungeformter Stuhlgang nur unter Laxanziengebrauch O ungenügende Kriterien für ein Reizdarmsyndrom.
Diagnostik
Sekundäre Ursachen müssen ausgeschlossen werden. Anamnestisch ist neben der Evaluation der Diagnosekriterien und der Medikamentenanamnese insbesondere auf Alarmzeichen zu achten, die auf eine organische Ursache hinweisen können (z.B. Gewichtsverlust, positiver Hämokulttest). Die körperliche und digitale rektale Untersuchung sind von Bedeutung, um perianale Fissuren, Abszesse oder Neoplasmen auszuschliessen (2). Die Bestimmung des Routinelabors (Blutbild, Serumchemie inklusive Kalzium- und Blutzuckerspiegel) und des TSH sowie radiologische (Barium-Doppelkontrasteinlauf) und endoskopische Untersuchungen sind bei den meisten Patienten mit Obstipation nicht sinnvoll, kommen aber zum Ausschluss relevanter Passagehindernisse und bei Alarmzeichen in Betracht.
Pathophysiologie
und klinische Subgruppen
Es können eine Obstipation mit normaler Kolontransitzeit (functional constipation), mit verzögerter Kolontransitzeit (slow transit constipation) sowie eine anorektale Obstipation (obstructed defecation/dyssynergic obstipation) unterschieden werden. Im Folgenden wird auf die Obstipation mit verzögerter Kolontransitzeit sowie auf die anorektale Obstipation näher eingegangen. Die motorische Aktivität des Dickdarms kann in zwei Hauptkomponenten unterteilt werden. Die sogenannte segmentale Aktivität (segmental activity) ist an einen bestimmten Abschnitt des Dickdarms gebunden und besteht aus einzelnen, beziehungsweise aus Sequenzen von Kontraktionen. Zu dieser Gruppe gehören die meisten Bewegungsvorgänge, die die komplexen Mischverhältnisse des Nahrungsbreis ermöglichen. Die andere Art der motorischen Aktivität des Dickdarms wird als vortreibende Aktivität (propagated activity) bezeichnet. Sie besteht aus Gruppen von propagierenden Kontraktionen, die hinsichtlich deren Amplituden in langsame (low amplitude propagated contractions, LAPC; ≤ 70 mbar) beziehungsweise hohe Amplituden (high amplitude propagated contractions, HAPC; ≥ 140 mbar) unterteilt werden können. Patienten mit einer verzögerten Kolontransitzeit haben eine signifikant verringerte Zahl von HAPC (< 5/Tag). Die Kolontransitzeitbestimmung mithilfe röntgendichter Marker, deren Kolonpassage durch Abdomenübersichtsaufnahmen 1 und 7 Tage nach Einnahme dokumentiert wird, erlaubt, Ausmass und Schweregrad der Transitzeitverlängerung abzuschätzen, vor allem, wenn sich die Obstipation unter konservativer Therapie nicht bessert oder die Stuhlkonsistenz normal ist (2). Der anorektalen Obstipation liegt eine Beckenbodendysfunktion zugrunde. Vor allem die Stuhlentleerung aus dem Anorektum ist beeinträchtigt. Die Austreibung eines mit 50 ml warmem Wasser gefüllten 4 cm langen Ballons (Ballonexpulsionstest) kann eine grobe Orientierung über die Defäkationsfunktion geben. Die Analmanometrie erlaubt neben der Messung des Sphinktertonus und
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des Rektumdrucks auch die Bestimmung des anorektalen Inhibitionsreflexes und der rektoanalen Perzeption. Bei der MRT-Defäkografie werden Schnittbildsequenzen des Beckenbodens während des Klemmens und Pressens sowie während der Defäkation erstellt (2). Mithilfe der Elektromyografie können die Aktivitäten von Schliessmuskel und Beckenbodenmuskulatur bestimmt werden.
Behandlung
Die ausführliche Information des Patienten stellt einen wesentlichen Aspekt in der Behandlung dar. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, regelmässige körperliche Bewegung sowie die Einübung fester Stuhlgewohnheiten (z.B. morgens 2 h nach dem Frühstück, wenn die Kolonmotilität am höchsten ist) ist zu achten. Die Umstellung auf eine ballaststoffreiche Ernährung zusammen mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr führt zu einer wirkungsvollen Erhöhung des Stuhlgewichts, beschleunigt die Kolonpassage und erhöht auf diese Weise die Stuhlfrequenz, da die nicht abbaubaren Pflanzenfasern Wasser binden und aufquellen. Laxanzien sind eine wichtige Säule in der Therapie der Obstipation. Der Entscheid für ein bestimmtes Präparat oder Wirkprinzip richtet sich nach den Therapiekosten und individuellen Präferenzen. Die beste Evidenz besteht für den Einsatz von Polyethylenglykol (Evidenzlevel A).
Polyethylenglykol beziehungsweise Macrogol ist ein nicht metabolisierbares, osmotisch aktives Polymer. Es erhöht die Stuhlfrequenz, reduziert das zur Defäkation erforderliche Pressen und führt zu einem weicheren Stuhl. Nur langkettige Polyethylenglykolketten mit einem Molekulargewicht zwischen 3000 und 4000 werden kaum intestinal resorbiert und können daher eine osmotische Wirkung im Dickdarm entfalten. Bereits eine relativ geringe Dosis von Macrogol (17 g/Tag) erhöht die Stuhlfrequenz und führt zu einem weicheren Stuhl. Die Wirkdauer liegt bei 48 Stunden. Es zeigte sich, dass Macrogol die Lebensqualität auch bei älteren Patienten verbessert (3). Nachgewiesen wurde zudem, dass Macrogol den Darm wirksam vor einer Koloskopie reinigt, wobei eine schnelle Zufuhr (> 1800 ml/h) den ausreichenden osmotischen Druck entstehen lässt. Die Behandlung mit Macrogol ist im Allgemeinen sicher und geht nicht mit ernsten Nebenwirkungen einher. Auch verändert Macrogol nicht die Struktur der gastroinstestinalen Schleimhaut. Eine kleine Anzahl von Patienten entwickelt jedoch eine Diarrhö oder Blutungen. Oft kann dies verhindert werden, indem Macrogol vor dem Einschlafen eingenommen wird. Zum Einsatz kommen Macrogol 3350 mit einem Molekulargewicht von 3350 und Macrogol 4000 mit einem Molekulargewicht von 4000. Im Allgemeinen wird Macrogol 3350 mit verschiedenen Elektrolyten
(z.B. Natriumsulfat) kombiniert, um dem
Körper vermehrt ausgeschiedene Elektro-
lyte wieder zuzuführen.
Macrogol 4000 hingegen verursacht auch
bei längerer Einnahme keine Störungen des
Elektrolythaushalts. Es wird daher im All-
gemeinen nicht mit Elektrolyten kombiniert
und ist geschmacks- und geruchsneutral.
Macrogol kann mit verschiedenen Getränken
eingenommen werden, was seine Anwen-
dung erleichtert. Dies ist insbesondere für
ältere Patienten und Kinder von Bedeutung.
Auch führt Macrogol 4000 nicht zu einer Ge-
wöhnung. Die empfohlene Dosis von Macro-
gol 4000 liegt bei 0,5 bis 1,5 g/kg KG/ Tag.
Eine Metaanalyse wies nach, dass das Kos-
ten-Effektivitäts-Verhältnis von Macrogol
günstig ist (4).
O
Claudia Borchard-Tuch
De Giorgio R et al.: Use of macrogol 4000 in chronic constipation. Eur Rev Med Pharmacol Sci 2011; 15(8): 960–966.
Interessenkonflikte: Die Autoren der Studie geben keine Interessenskonflikte an.
Literatur: 1. Mönnikes H et al.: Chronische Obstipation. Rationales Manage-
ment bei Erwachsenen. Gastroenterologe 2013; 8: 425–431. 2. Frühauf H et al.: Obstipation. Gastroenterologe 2008; 3:
488–496. 3. Seinela L et al.: Comparison of polyethylene glycol with and
without electrolytes in the treatment of constipation in elderly institutionalized patients: a randomized, doubleblind, parallel-group study. Drugs Aging 2009; 26: 703–713. 4. Lee-Robichaud H et al.: Lactulose versus polyethylene glycol for chronic constipation. Cochrane Database Syst Rev 2010; (7): CD007570.
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