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Titel
Joseph und seine Brüder
Untertitel
-
Lead
Mehr als der mutmassliche FIFASumpf bewegt die Tschau-Sepp-Affäre die Schweizer Öffentlichkeit, auch die in meinem Wartezimmer. Die FBIAgenten werden als Gesslers böse Schergen wahrgenommen, die einen wackeren, unbescholtenen Schweizer angreifen. Wir Eidgenossen mögen es nicht, wenn man mit unseren Seppels herumkaspert, egal ob Blatter Sepp oder Ackermann Joe. Es sind Ehrenmänner. Basta. Wehe dem Journalisten oder dem Staatsanwalt, der dies genauer untersuchen will! Korruption, so jammern wir, die hätte und würde es immer (ge)geben.
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ARSENICUM
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10874
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Arsenicum: Joseph und seine Brüder

Mehr als der mutmassliche FIFASumpf bewegt die Tschau-Sepp-Affäre die Schweizer Öffentlichkeit, auch die in meinem Wartezimmer. Die FBIAgenten werden als Gesslers böse Schergen wahrgenommen, die einen wackeren, unbescholtenen Schweizer angreifen. Wir Eidgenossen mögen es nicht, wenn man mit unseren Seppels herumkaspert, egal ob Blatter Sepp oder Ackermann Joe. Es sind Ehrenmänner. Basta. Wehe dem Journalisten oder dem Staatsanwalt, der dies genauer untersuchen will! Korruption, so jammern wir, die hätte und würde es immer (ge)geben. Nun, auch Diebstahl wird es immer geben – trotzdem wird dieser strafrechtlich untersucht und verfolgt, was einige Diebe abschreckt. Unbequem ist uns Schweizern seit jeher die Frage, ob wir nicht so blind gegenüber den Machenschaften gewisser Institutionen und Personen sind, weil wir selbst davon gewaltig profitieren …
In einer entblatterten FIFA, so behaupten wir, würde die Korruption nicht geringer. Mag sein. Aber Chefs, die dulden, dass andere lange Finger machen, fördern Stehlen und Hehlen. Werden sie entmachtet, trägt es durchaus zu mehr Redlichkeit bei. Raus aus der FIFA ist zurzeit aber nur der Kommunikationschef. Ob der Ex-Sportreporter selbst den Notausgang nahm oder ob seine Bosse ihm die Türe wiesen, weil sie wegen seiner Spässchen nicht im Büro herumtanzten, ist unbekannt. Eine weitere Affäre, die nicht davon ablenken sollte, was unter dem FIFADach so alles passiert ist. Mehr als ein Schmier(en)theater: Unsummen wurden an nicht berechtigte Einzelperso-

nen umgeleitet, gingen Staaten und ihren Bürgern verloren. Geld, mit dem eigentlich der schöne Sport Fussball und die Sportler hätten gefördert werden sollen. Einige der übelsten Brüder sitzen jetzt dank US-Justizministerin Lorretta Lynch ein. Sie singen, um den eigenen Kopf zu retten. Man darf gespannt sein, was noch so alles herauskommt.
Schon jetzt ist das Ausmass der Absprachen und Mauscheleien erschreckend. Der heilige Joseph wusste natürlich von nichts. Vom Visper Volkswirt wissen wir aber dank «Schweizer Illustrierten» und anderen einschlägigen Publikationen einiges. Seine steile Karriere darf durchaus als machiavellistisch inspiriert bezeichnet werden. In seiner Jugend hat er ganz passabel gedribbelt und gestürmt. Seine Brüder Marco und Peter hätten nicht gerne gehört, dass er Mutter Berthas «chéri» war. An Sklavenhändler verkauft haben sie ihn aber augenscheinlich nicht, denn den diversen Pharaos in seinem Berufsleben diente er sich selber an. Dreimal verheiratet war der Sepp, aber Potiphars Weib war nicht dabei. Er riet zu «mehr femininer» Kleidung bei Fussballerinnen und zu sexueller Abstinenz Homosexueller im schwulenfeindlichen Katar. Das kam nicht gut an. Genauso wenig, wie das Abkanzeln kritischer Reporter. 2002 dementierte er die Korruptionsvorwürfe eines weiteren nicht ganz durchschaubaren Wallisers, der der englischen «Sunday Times» gesagt haben soll, wer bei der FIFA ein Gangster sei, wen man mit Prostituierten und wen mit Geld kaufen könne. Blatter liebte es zu reisen

und in aller Welt mit FIFA-Geld dort der Fussballentwicklung einen Kick zu geben. Für den Fussball und für Zürich hat er viel geleistet, was der Journalist Peter Rothenbühler zu Recht oft betont hat. Doch durch Blatters Verharren im Amt, durch seine Fehleinschätzung der Situation hat er sich und anderen geschadet. Zu lange Amtszeiten bergen die Gefahr des Cäsarenwahns. «Ein Blatter verzeiht, aber vergisst nicht!» – das war nur noch peinlich. Jetzt ist er wie sein biblischer Namensvetter «in der Grube».
Man mag es ihm zutrauen und auch gönnen, dass er dort wieder rausklettert, denn es ist ja nicht die auf dem Friedhof. Ob aber Klaus J. Stöhlker die richtige Person ist, ihm dabei zu helfen, ist fraglich. Da scheint uns seine Tochter die bessere Ratgeberin zu sein. Nach Kanada fährt der Sepp jetzt nicht, zur Frauenfussball-WM. Wir auch nicht, aber wir schauen sie im Fernsehen. Und sind trotz unfemininer Kleidung und Geschlechterchecks – begeistert. Egal wie die WM ausgeht – unsere Girls schlagen sich gut. Gut wie der Tag, an dem die FBI einmarschierte und die USA mal wieder als Weltpolizist handelten. Egal, aus welchen Motiven es geschah: Es ist ermutigend, dass es noch eine Staatsanwältin und eine Presse gibt, die Korruption verfolgen. Auch wenn dabei Schweizer Machenschaften und Personen unter die Lupe genommen werden und die Welt voller böser Jungs ist.

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ARS MEDICI 12 I 2015