Transkript
BERICHT
Quälender chronischer Juckreiz
Amerikanischer Pruritusexperte weiss Rat
Definitionsgemäss wird von chronischem Pruritus gesprochen, wenn die Dauer 6 Wochen oder länger beträgt. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz an. Chronischer Pruritus beeinträchtigt die Lebensqualität ähnlich stark wie chronischer Schmerz. Wie Schmerzgeplagte verlangen auch Patienten mit chronischem Pruritus nach einer Behandlung, welche den Juckreiz möglichst rasch lindert. In den meisten Fällen richten Antihistaminika gegen chronischen Pruritus nicht viel aus. Was das Leben bei chronischem Pruritus erträglich machen kann, berichtete Prof. Dr. Gil Yosipovitch, Wake Forest University Baptist Medical Center, Winston-Salem, NC, USA, in Amsterdam am 23. EADV-Kongress.
Als mögliche Ursache von chronischem Pruritus kommen neben dermatologischen Erkrankungen (z.B. atopische Dermatitis, Psoriasis, Lichen planus, Skabies) auch systemische Ursachen (z.B. Cholestase, chronische Niereninsuffizienz, hämatologische und lymphoproliferative Erkrankungen, Hyperthyreose), neuropathische Ursachen (z.B. Notalgia paraesthetica) und psychogene Ursachen (z.B. somatoformer Pruritus) in Betracht. Bei Patienten mit chronischem Pruritus sind Nervenfasern überaktiviert. Sie feuern auch dann, wenn Stimuli einwirken, die normalerweise keinen Juckreiz auslösen (z.B. Temperaturwechsel, Aus- oder Anziehen des Pyjamas) oder die üblicherweise Juckreiz lindern (z.B. Kratzen). Diese Phänomene von Nervenfasersensibilisierung (sensitization) kommen bei Patienten mit chronischem Pruritus nicht nur peripher (in der Epidermis), sondern auch zentral (Hirnstrukturveränderungen) vor.
Die atopische Dermatitis ist das klassische Beispiel einer Dermatose, die chronischen Pruritus verursacht.
(Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
Topische Pruritustherapien
Bei leichtem oder lokalisiertem Pruritus und bei «Winterjuckreiz» (trockene Haut) reichen manchmal Emollienzien zur Linderung aus. Capsaicin (0,025% bis 0,1%) bewirkt lokal eine Entsensibilisierung peripherer Nervenfasern. Sehr störend ist die brennende Missempfindung, die nach 2 Wochen wieder verschwunden ist. Nur bei Personen, die das Brennen spürten, spreche der Juckreiz auf Capsaicin an, sagte der Referent. In den USA sprechen Hispanics und Personen chinesischer Abstammung wesentlich besser an als Kaukasier, während Afroamerikaner überhaupt nicht ansprechen. Auch das altbekannte Menthol, das eine Empfindung von Kühle auslöst, wirkt nicht bei allen Patienten mit Pruritus. Es gebe sogar Patienten, bei denen Menthol den Juckreiz verschlimmere, so der Referent. Wenn jedoch ein Patient berichtet, dass kalte Duschen den Juckreiz lindern, kann auch topisches Menthol (z.B. Creme 1% bis 5%) nützlich sein. Allerdings ist die Wirkdauer von Menthol nur kurz, sodass die Applikation in kurzen Abständen wiederholt werden muss. Topische Glukokortikoide können sich bei entzündlichen Dermatosen (z.B. atopisches Ekzem, Psoriasis, Lichen planus) günstig auf chronischen Pruritus auswirken, obschon sie nicht einen direkten Antiprurituseffekt, aber einen antientzündlichen Effekt haben (1). Auch topische Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus) lindern den Juckreiz bei entzündlichen Dermatosen (z.B. atopische Dermatitis, Kontaktdermatitis). Der Antiprurituseffekt kommt wahrscheinlich durch Aktivierung des TRPV1-Ionenkanals zustande. Nach wenigen Tagen mit wiederholter Applikation lassen die initialen brennenden Empfindungen nach. Wenn das initiale Brennen auftritt, kann meist im weiteren Behandlungsverlauf mit einem Antiprurituseffekt gerechnet werden. In einer kleinen kontrollierten Studie erwies sich topisches Tacrolimus bei therapieresistentem idiopathischem Pruritus ani als wirksam (1).
16 SZD 2/2015
Quälender chronischer Juckreiz
Systemische Pruritustherapien
Ausser bei Patienten mit Urtikaria sind nicht sedierende H1-Antihistaminika bei chronischem Pruritus wenig nützlich, weil Histamin – abgesehen von der Urtikaria – bei der Juckreizentstehung keine wichtige Rolle spielt (1). Der Nutzen sedierender Antihistaminika (z.B. Hydroxyzin), die bei chronischem Pruritus häufig verwendet werden, beruht auf der schlaffördernden Wirkung. Antidepressiva beeinflussen die zentrale Sensibilisierung und reduzieren die Überaktivität der Nervenfasern bei chronischem Pruritus. Der Referent berichtete, dass Mirtazapin – ein Antidepressivum aus der Gruppe der SNRI – bei generalisiertem chronischem Pruritus von den Antidepressiva am besten wirksam sei, besonders bei nächtlichem Juckreiz, der den Schlaf störe (7,5 bis 15 mg vor dem Schlafengehen). Bei Kindern unter 10 Jahren, die an stark juckender atopischer Dermatitis leiden, setzt der Referent nicht Mirtazapin, sondern orale sedierende Antihistaminika ein. Das Antidepressivum Duloxetin, das ebenfalls zentrale Sensibilisierungen reduziert, sei zwar bei neuropathischem Schmerz wirksam, aber nicht bei chronischem Pruritus, so Prof. Yosipovitch. Auch die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin reduzieren die zentrale Sensibilisierung. Diese Medikamente sollten einschleichend dosiert werden mit Dosissteigerung alle 2 Tage. Bei neuropathischem Pruritus sind relativ hohe Tagesdosen nötig (z.B. bis 3600 mg Gabapentin, aufgeteilt auf 3 Gaben) (1).
Pruritusprävention
Die gestörte Hautbarriere, die Entzündung und freigesetzte Zytokine lösen Juckreiz und Kratzen aus. Durch Aktivierung der Nervenfasern kann es schon zu Juckreiz kommen, bevor das Ekzem überhaupt sichtbar wird. Zur Pruritusprävention empfahl der Referent: L Kleidung aus weichem Baumwollstoff verwenden;
synthetische Textilien, Wolle und rauhe Stoffe sind ungeeignet, weil sie auf der Haut reiben und reizen L nur Waschmittel mit geringem Irritationspotenzial verwenden L Körperreinigung mit pH-neutralen Produkten; bei zu hohem pH-Wert werden Proteasen aktiviert, die Pruritus auslösen L Hausstaubmilben bekämpfen L fett-feuchte Verbände (wet wraps) reduzieren den Pruritus und stellen die gestörte Hautbarriere wieder her.
Chronischer Pruritus bei Patienten mit Psoriasis
Erstaunlicherweise ist Pruritus erst seit 10 Jahren als häufiges Psoriasissymptom anerkannt. Für viele
Patienten mit Psoriasis klagen häufig über quälenden chronischen Pruritus. (Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
Patienten mit Psoriasis ist der Pruritus ein sehr quälendes Symptom, das schlecht auf Therapien anspricht. Nicht nur bei Psoriasis ist die Kopfhaut besonders empfindlich für Juckreiz. Beim Pruritus der Psoriasis handle es sich um einen völlig anderen Juckreiz als bei der atopischen Dermatitis, sagte der Referent. Seine «therapeutische Leiter» beginnt bei Emollienzien und topischen Glukokortikoiden. Dann folgt topische Salizylsäure, die nicht nur keratolytisch wirkt, sondern auch einen Antiprurituseffekt hat. Topisches Capsaicin (in der höheren Konzentration von 0,1%) ist bei Psoriasis (anders als bei atopischer Dermatitis) gut wirksam. Systemisch verwendet der Referent Mirtazapin, Phototherapie und Apremilast. Apremilast – ein kleinmolekularer, oraler Hemmstoff der Phosphodiesterase 4 (PDE4) – reduziert den Pruritus rasch und nachhaltig. Das Medikament ist in den USA und seit Januar 2015 auch in der EU unter dem Markennamen Otezla® zugelassen zur Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaquepsoriasis und von Patienten mit aktiver Psoriasisarthritis. Prof. Yosipovitch präsentierte am 23. EADVKongress ein Poster zur Wirkung von Apremilast auf den Pruritus (2). Die Auswertung der Resultate der beiden Psoriasisbehandlungsstudien ESTEEM 1 und 2 ergab, dass Apremilast (zweimal täglich 30 mg) den Pruritus bereits innerhalb von 2 Wochen im Vergleich zu Plazebo signifikant besserte. Der Antiprurituseffekt blieb bis zum Ende der Studien (Woche 32) erhalten. Durchschnittlich wurde eine Verminderung des Pruritus von fast 50 Prozent zwischen dem Beginn der Studie (baseline) und der Woche 16 festgestellt (2). L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1.Yosipovitch G et al. Chronic pruritus. N Engl J Med 2013; 368:
1625–1634. 2.Yosipovitch G et al. Effects of apremilast on pruritus in patients
with moderate to severe plaque psoriasis: Results from the ESTEEM 1 and 2 trials. Poster P1682, 23. EADV-Kongress, Amsterdam.
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