Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Neues zur Aknepathogenese und zur vorbeugenden Hautpflege
Innovativer dermokosmetischer Wirkstoff für die Pflege der fettigen Haut mit Unreinheiten
Eine innovative Hypothese zur Aknepathogenese macht die Zunahme der Bakterienpopulation von P. acnes in den Talgdrüsenfollikeln für die Auslösung des Aknezyklus verantwortlich. Mit neuartigen dermokosmetischen Wirkstoffen wird bei der Hautpflege versucht, die Aknebakterienzahl präventiv stabil zu halten. Darüber berichtete Prof. Dr. Jean-Hilaire Saurat, Genf, im Rahmen des 23. EADV-Kongresses an einem Satellitensymposium der Laboratoires dermatologiques Avène, Firma Pierre Fabre.
Es sei nicht damit getan, inspektorisch bei Aknepatienten die vorhandenen Läsionen zu erfassen, sondern gleichzeitig gelte es, sich Gedanken darüber zu machen, was auf der Haut noch nicht sichtbar sei, aber schon bald in Erscheinung treten werde, sagte Prof. Saurat. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer von den Akneeffloreszenzen zu den viel zahlreicheren «naiven», noch nicht betroffenen, aber akneanfälligen Talgdrüsenfollikeln. Weil weniger als 1 Prozent der Talgdrüsenfollikel Akneläsionen aufweisen (Kasten 1), ist es nicht ausreichend, mit topischen und systemischen Aknetherapien die Heilung der wenigen, aktuell sichtbaren Effloreszenzen zu beschleunigen. Vielmehr ist auch eine vorbeugende dermokosmetische Pflege wichtig, damit die viel zahlreicheren naiven Talgdrüsenfollikel, die akneanfällig sind, nicht in den Aknezyklus eintreten und zu Akneeffloreszenzen führen. «Die Hauptstrategie der Aknepflege mit Dermokosmetika besteht darin, nicht die wenigen, bereits sichtbaren
Kasten 1:
Akneläsionen und nicht läsionale Talgdrüsenfollikel (Zahlenbeispiel)
L Von Akne betroffene Hautfläche im Gesicht (Beispiel: 5 × 10 cm)
50 cm2
L Talgdrüsenzahl pro cm2 im Gesicht (200 bis 800 pro cm2) Annahme
500 pro cm2
L Totale Talgdrüsenzahl in betroffener Hautfläche von 50 cm2
25 000
L Totale Zahl von Akneläsionen in der betroffenen Hautfläche
135
L Zahl der akneanfälligen, nicht läsionalen Talgdrüsenfollikel
24 865
L Prozentualer Anteil läsionaler Talgdrüsenfollikel
0,54%
(nach Prof. Dr. Jean-Hilaire Saurat)
Läsionen als Feinde zu bekämpfen, sondern vielmehr präventiv zu erreichen, dass sich nicht neue Feinde formieren können», sagte Prof. Saurat.
Schalten Aknebakterien den Aknezyklus ein?
Wahrscheinlich ist das anaerobe, grampositive Stäbchen Propionibacterium acnes dafür verantwortlich, dass naive Talgdrüsenfollikel zu initialen Akneläsionen – den nur mikroskopisch in der Biopsie nachweisbaren Mikrokomedonen – werden, aus denen danach klinische, offene und geschlossene Komedonen sowie entzündliche Effloreszenzen (Papeln, Pusteln, Knoten) entstehen. Aknebakterien sind in läsionalen Talgdrüsenfollikeln in grosser Zahl zu finden. Die Talgdrüsen selbst sind aber frei von P. acnes (1). Die Bakterien kolonisieren hauptsächlich das Infundibulum (Haarbalgtrichter zwischen der Mündung des Talgdrüsenausführungsgangs in den Follikelkanal und der Öffnung des Haarfollikels an der Hautoberfläche). Die Bakterien halten sich also nahe der Hautoberfläche auf (1). Wenn einige wenige Talgdrüsen unter Androgeneinfluss mehr Sebum produzieren als die übrigen Talgdrüsen, kann sich die Population von P. acnes in den betroffenen Talgdrüsenfollikeln vermehren. P. acnes verfügt über die Fähigkeit des Quorum-Sensing (Kasten 2), das durch Zunahme der Bakterienpopulation ausgelöst wird. Der Mechanismus des Quorum-Sensing erklärt, weshalb P. acnes in einigen Talgdrüsenfollikeln vom kommensalen Modus in den pathogenen Modus umschalten kann. Wenn die Population von P. acnes wächst, beginnt das Quorum-Sensing, und die bisher friedlichen Kom-
10 SZD 1/2015
Neues zur Aknepathogenese und zur vorbeugenden Hautpflege
mensalen werden zu aggressiven Pathogenen. Es kommt zur Biofilmproduktion und zur Ausbildung von Virulenzfaktoren (z.B. vermehrte Lipasebildung). Prof. Saurat illustrierte diese Umschaltung mit einer Analogie aus der medizinischen Kongresswelt. Wenn mehr Kongressteilnehmer in einen Vortragssaal strömen als darin Platz haben, ist das Quorum überschritten, der Vortrag überbucht. Solange noch freie Plätze im Saal sind und die Kongressteilnehmer sich gewissermassen in der Situation von Kommensalen befinden, verhalten sie sich freundlich zueinander. Wenn aber noch zusätzliche 200 Personen in den Saal drängen, ist dieser heillos überfüllt. Jetzt ändern die Kongressteilnehmer ihr Verhalten und beginnen, aggressiv um Sitz- und Stehplätze zu kämpfen. In-vitro-Studien weisen darauf hin, dass das QuorumSensing bei P. acnes die Hydrolyse von Sebumtriglyzeriden durch bakterielle Lipasen verstärkt. Dadurch werden vermehrt freie Fettsäuren freigesetzt, die als DAMP (danger-associated molecular patterns) wirken und Toll-like-Rezeptoren (TLR2 und TLR4) aktivieren (2). Nun wird eine T-Helferzellen-Immunreaktion mit Expression von Th1/Th17-assoziierten, proinflammatorischen Zytokinen ausgelöst (Abbildung).
Mit Dermokosmetika die Umschaltung in den pathogenen Bakterienmodus präventiv verhindern
Im ganzen Gesicht muss man mit etwa 75 000 Talgdrüsenfollikeln rechnen, die früher oder später in den Aknezyklus eintreten können. Mit Tetrazyklinen kann die Bakterienzahl reduziert, das Quorum-Sensing unterbrochen und die Entzündung vermindert werden. Es ist aber ausgeschlossen, dauernd mit Antibiotika zu behandeln, um prophylaktisch zu verhindern, dass naive, noch nicht betroffene Talgdrüsenfollikel in den Aknezyklus eintreten. Deshalb werden dermokosmetische Wirkstoffe benötigt, mit denen es bei der Hautpflege gelingt, P. acnes im kommensalen Modus zu behalten und die Umschaltung in den pathogenen Modus und damit das Eintreten in den Aknezyklus präventiv zu verhindern. Durch Kopplung von Octane-diol und Alpha-Linolensäure ist es gelungen, das Prodrug Diolenyl® zu synthetisieren, das in Form eines Dermokosmetikums (Cleanance Expert) in die Haut eindringt und am Ort des Aknegeschehens aktiviert wird. Mit spezifischen Lipasen spaltet P. acnes das Prodrug am Ort der Bakterienkolonisierung im Infundibulum, sodass die beiden Bestandteile als Wirkstoffe aktiv werden können. Octane-diol reduziert die Bakterienzahl von P. acnes, und Alpha-Linolensäure hemmt die Entzündung und die Freisetzung von Interleukin 8. Das Dermokosmetikum könne präventiv dazu beitragen,
Kasten 2:
Was ist Quorum-Sensing?
L Quorum-Sensing ist die Fähigkeit von Einzellern, durch chemische Kommunikation die Zelldichte der Population zu messen. Bakterien, die diese Fähigkeit besitzen, sezernieren Signalmoleküle und ändern bei starker Vermehrung der Bakterienpopulation ihre Verhaltensweise.
L Im Alltag bezeichnet der Ausdruck Quorum die für Abstimmungen benötigte geringste Zahl von Stimmberechtigten.
L Die Hypothese der Forschungsgruppe um J. P. Mc Fadden, St. Thomas’ Hospital, London, UK, besagt, dass P. acnes im kommensalen Modus in kontrollierter Population keine Signale oder Sicherheitssignale aussendet. Nimmt die Bakterienpopulation dagegen zu, schaltet P. acnes in den pathogenen Modus um und sendet durch Quorum-Sensing in Form vermehrter freier Fettsäuren Gefahrensignale aus, welche TLR2 und TLR4 stimulieren und die Entzündung in Gang bringen (2).
Androgene ↓
Verstärkte Sebumproduktion ↓
Blockade des Talgdrüsenfollikels ↓
Anaerobes Milieu mit Fettüberfluss im Infundibulum ↓
Zunahme der Bakterienpopulation von P. acnes ↓
Quorum-Sensing mit Produktion von Autoinducer-2-Molekülen (Bakterien produzieren extrazelluläre Quorum-Sensing-Signalmoleküle, welche in Abhängigkeit von der Populationsdichte die Genexpression der Bakterien synchronisiert beeinflussen, um ein optimales Überleben der Population zu gewährleisten)
↓ Biofilmbildung und Produktion von Virulenzfaktoren (Zunahme von Lipasen)
↓ Zunahme freier Fettsäuren
↓ Freie Fettsäuren wirken als DAMP und lösen Gefahrensignale aus
↓ Aktivierung von TLR2 und TLR4
↓ Immunreaktion und Entzündung
(nach Referenz [2])
Abbildung: Innovative Hypothese zur Aknepathogenese
dass naive Talgdrüsenfollikel nicht vom Aknezyklus
erfasst würden, so Prof. Saurat.
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Jahns A et al.: Three dimensional distribution of propionibacte-
rium acnes biofilm in human skin. Exp Dermatol 2014; 23: 687–689. 2. Lwin SM et al.: Acne, quorum sensing and danger. Clin Exp Dermatol 2014; 39: 162–167.
SZD 1/2015
11