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ERNÄHRUNG UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN BEI KINDERN
Behandlung von Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel am Beispiel der Galaktosämie
CLAUDIA SALVISBERG1, JEAN-MARC NUOFFER2, MATTHIAS GAUTSCHI
Die Galaktosämie ist ein wichtiges Beispiel einer Störung im Kohlenhydratstoffwechsel. Ihre schwerste Form, die klassische Galaktosämie, führt im Neugeborenenalter zu einem potenziell tödlich verlaufenden, akuten Intoxikationssyndrom und später zu chronischen, vor allem neurologischen und endokrinologischen Langzeitkomplikationen. Die akute Intoxikation kann durch eine laktosefreie und galaktosearme Diät wirkungsvoll behandelt werden, während die chronischen Probleme durch diese Behandlung nicht zu beeinflussen sind.
Glukose (Traubenzucker) ist der wichtigste schnelle Energielieferant für den Körper und für die Herstellung von chemischer Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) nötig. Während Muskeln und speziell der Herzmuskel für die ATPBildung auch unter nicht gefasteten Bedingungen Fettsäuren oxidieren können, ist das Gehirn dabei vorwiegend von Glukose abhängig. Daher ist die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutzuckerspiegels äusserst wichtig, was in erster Linie durch die Pankreashormone Insulin und Glukagon gesteuert wird. Der Leber kommt dabei wegen ihrer Glykogenspeicherfunktion eine wichtige Rolle als Glukosepuffer zu. Galaktose und Fruktose bilden mit Glukose je die Disaccharide Laktose (Milchzucker) respektive Saccharose (Tafelzucker). Sie sind neben Glukose die häufigsten
1Dipl. Ernährungsberaterin HF, Interdisziplinäres Stoffwechselteam, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern. 2Leitender Arzt, Interdisziplinäres Stoffwechselteam, Universitätsklinik für Kinderheilkunde und Universitätsinstitut für klinische Chemie, Inselspital, Bern.
Monosaccharide in unserer Nahrung. Sie können vom Körper nicht direkt verwertet werden, daher werden sie erst nach spezifischen chemischen Umwandlungen in den Glukosestoffwechsel aufgenommen (Abbildung). Diese Umwandlungen werden durch spezifische Enzyme, das sind zelluläre Katalysatoren, bewirkt. Mutationen im genetisch festgelegten Bauplan eines Enzyms können zum Funktionsverlust führen und damit zu einem Block im betroffenen Stoffwechselweg. Es kommt in der Folge zu einer Anhäufung des Enzymsubstrats mit möglichen toxischen Wirkungen und zu einem Mangel an Enzymprodukt, der zu einem akutem Energiemangel führen kann. Überdies kann das Enzymprodukt auch für die Synthese von weiteren, komplexen Makromolekülen nötig sein. Deren Mangel kann wiederum mit weiteren, häufig chronischen klinischen Problemen verbunden sein. Die Galaktosämie ist eine der häufigeren Krankheiten, bei welcher sowohl toxische Metaboliten und der akute Energiemangel, als auch die chronischen komplexen Probleme eine wichtige Rolle spielen.
Klassische Galaktosämie
Verschiedene Gründe können zu einer Galaktosämie, das heisst zu einer erhöhten Konzentration von Galaktose im Blut, führen (1–3). Klinisch relevant ist vor allem die klassische Galaktosämie, welche durch einen vollständigen Funktionsverlust des Enzyms GALT (Galaktose-1-Phosphat-Uridyl-Transferase) verursacht wird. Manchmal kann auch eine milde Galaktosämie leichte akute Symptome bewirken, und der sehr seltene Galaktokinasemangel kann zu Katarakten führen. Letzterer kommt vorwiegend bei romastämmigen Personen vor. Tabelle 1 fasst die klinischen Symptome und Befunde zusammen. In der Schweiz ist die Galaktosämie seit Ende der Sechzigerjahre Teil des Neugeborenenscreenings. Dadurch lässt sich die lebensgefährliche Glukoseentgleisung des Neugeborenen durch Muttermilch oder eine handelsübliche Säuglingsnahrung frühzeitig verhindern. Die Behandlung des Neugeborenen besteht im Ersatz der normalen Milch durch eine galaktosefreie Spezialmilch. Die Diättherapie verhindert die akuten Sym-
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ptome und die Entwicklung von Katarakten. Chronische Komplikationen, zu denen die primäre Ovarialinsuffizienz und die Infertilität bei jungen Frauen gehören, sowie kognitive und neurologische Probleme können jedoch auch durch eine strikte Einhaltung der Diät nicht verhindert werden. Die Ursachen dafür sind Gegenstand intensiver Forschung und derzeit noch nicht geklärt.
Diät und Ernährung
Die Diätempfehlungen bei klassischer Galaktosämie sind in Bewegung. Nachfolgend sind unsere aktuellen Empfehlungen zusammengefasst (Tabelle 2). Säuglingsalter: Galaktosämie ist eine der wenigen Erkrankungen, bei der nach Diagnosestellung ein absolutes Stillverbot gilt. Anstelle von Muttermilch erhalten die Säuglinge eine komplett laktose- und galaktosefreie Ersatzmilch. Wir setzen eine Säuglingsnahrung auf Hydrolysatbasis ein, da die Verwendung von Säuglingsnahrung auf Sojabasis aufgrund des Phytoöstrogengehalts nur mit Zurückhaltung einzusetzen ist (für Diskussion siehe [5, 6]). Die Kinder können ad libitum ernährt werden und zeigen unter dieser Ernährung eine normale Gewichtsentwicklung und ein normales Längenwachstum. Frühestens nach dem 4. Monat kann mit der Einführung von Beikost begonnen werden. Die zeitliche Einführung von Breimahlzeiten und Nahrung vom Familientisch richtet sich nach den allgemeinen Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie. Bei der Lebensmittelauswahl muss jedoch vollständig auf Milchprodukte jeglicher Art (mit Ausnahme von geeigneten Käsesorten) verzichtet werden (Tabelle 3 und 4). Zu beachten sind insbesondere versteckte Galaktosequellen in Brot, Gebäck und Fertigbreien. Der Einsatz eines Getreidedrinks ist aufgrund des ungenügenden Gehalts an Mikro- und Makronährstoffen frühestens nach dem ersten Geburtstag empfohlen. Klein- und Schulkinder: Bei der galaktosearmen und laktosefreien Ernährung für Klein- und Schulkinder ist besonders auf eine ausreichende Kalzium- und VitaminD-Zufuhr zu achten. Zur Deckung des Kalziumbedarfs wird die regelmässige
Abbildung: Überblick über den Kohlenhydratstoffwechsel: Fruktose, Glukose und Galaktose haben je 6 Kohlenstoffatome (C). Sie werden aus Saccharose, Stärke respektive Milchzucker (Laktose) über die Nahrung zugeführt. Der Glukosestoffwechsel umfasst die Glukosespeicherung in Form von Glykogen und seinen Abbau mittels Glykolyse zu Pyruvat (enthält 3 C), welches zur Energiegewinnung (ATP) in den Krebszyklus eingespeist wird, und die Glukoneogenese, welche zur Aufrechterhaltung eines stabilen Blutzuckers beiträgt. Rote Rahmen bezeichnen in der Abbildung den Galaktosestoffwechsel und die beteiligten Enzyme. Zur Synthese von glykosylierten Makromolekülen werden u.a. UDP-Glukose und UDPGalaktose benötigt. Letztere wird beim Abbau der Makromoleküle als Galaktose-1-Phosphat wieder freigesetzt. Fruktose wird zu zwei «C3»-Molekülen gespalten und verstoffwechselt. Verbindungen zum Fett- und Proteinstoffwechsel sind durch Pfeile symbolisiert.
Einnahme von geeigneten Käsesorten, kalziumreichem Mineralwasser (Gehalt von > 400mg/l) und kalziumangereicherten Getreidedrinks empfohlen. Die Erfahrung zeigt, dass es sich lohnt, die Kinder möglichst früh an den Konsum von Käse zu gewöhnen, da er eine ideale Kalziumund Vitamin-D-Quelle darstellt. Ist die Kalziumzufuhr trotzdem ungenügend, empfehlen wir die Supplementation, bei der zu beachten ist, dass die meisten Kinder diese zeitweise verweigern. Im Alltag empfehlen sich grösstenteils frische und unverarbeitete Produkte, weil Fertigprodukte aller Art Laktose beziehungsweise Galaktose enthalten können. Die Kennzeichnungspflicht von milchhaltigen Zutaten erleichtert heute die Unterscheidung von geeigneten und ungeeigneten Produkten. Die Zusammensetzung von Fertigprodukten muss trotzdem regelmässig überprüft werden, da die Inhaltsstoffe vom Hersteller jederzeit geändert werden können. Auf dem Markt werden von diversen Anbietern laktosefreie Produkte für Personen mit Laktoseintoleranz angeboten.
Diese Produkte sind jedoch bei Galaktosämie völlig ungeeignet, da die Laktose lediglich in gespaltener Form vorliegt und der Galaktosegehalt unverändert zum Normalprodukt ist. Es gibt nur wenige laktosefreie Produkte (z.B. Schokolade, Kekse), die überhaupt keine Milchbestandteile enthalten, diese Ausnahmen sind auch für Personen mit Galaktosämie zum Verzehr geeignet. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Ernährung von Jugendlichen und Erwachsenen nicht mehr streng laktosefrei sein muss (7–8). Der wissenschaftliche Beirat der Galaktosämie-Initiative Deutschland hat im Jahr 2011 bereits zu einer Änderung der Galatkosämiediät im Sinne einer Diätlockerung Stellung genommen (8). Das bedeutet in der Praxis, dass versteckte Laktosequellen zum Beispiel in Brot, Gebäck und Wurstwaren in üblichen Verzehrmengen konsumiert werden können. Wegzulassen sind auch weiterhin alle Arten von Milch (auch laktosefreie Milch) als Getränk, Joghurt, Quark, Pudding und Cremes. Diese Diätumstellung wurde in unserem
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Zentrum erst bei einzelnen Patienten eingeführt. Es zeigt sich, dass es für die Betroffenen und insbesondere auch für ihre Eltern eine enorme Überwindung braucht, beispielsweise ein normales Buttergipfeli zu essen. Eine schrittweise und eng betreute Einführung könnte sich daher als sinnvoll erweisen.
Betreuung: Verlaufsuntersuchungen und Langzeitkomplikationen
Gegenwärtig haben wir keine guten biologischen Messgrössen (Biomarker), die uns über die Diätcompliance oder über die Prognose bezüglich Schwere der kognitiven und endokrinologischen Komplikationen im Verlauf Auskunft geben könnten. Auch Patienten mit den gleichen klassischen Mutationen haben oft sehr unterschiedliche Ausprägungen der
Probleme. Die routinemässig gemessene Konzentration von Galaktose-1-Phosphat (Gal-1-P, Zielbereich < 4,00 mg/dl, Referenzbereich < 0,57 mg/dl) in Erythrozyten ist nicht verlässlich, denn sie hängt vorwiegend von der endogenen Galaktoseproduktion ab und steigt nur bei groben Diätfehlern kurzfristig an. Das Gal-1-P kann daher erhöht sein trotz strikter Einhaltung der Diät. Die Ausprägung der Langzeitprobleme korreliert weder mit dem Gal-1-P noch mit der strikten Einhaltung der Diät. Zur diätetischen und allgemeinen Beratung der Familie sind zu Beginn häufigere Kontrollen in der Sprechstunde nötig – auch fortlaufend während der verschiedenen Ernährungsetappen im Kleinkindesalter. Später müssen bei jedem Kind altersentsprechend und gezielt mögliche Langzeitkomplikationen gesucht und abgeklärt werden, um frühzeitig therapeutische Massnahmen ergreifen zu können. Wichtige Abklärungszeitpunkte sind die Einschulung, das mittlere Schulalter, die Vorbereitung auf eine berufliche Integration und bei Mädchen die endokrinologische und gynäkologische Begleitung während und nach der Zeit der Pubertät. Neben der periodischen Knochendichtemessung und der Evaluation der häufigen Schulprobleme im Bereich Sprache und Rechnen ist besonders das Ansprechen von möglichen sozialen (Mobbing!, Beziehungen, soziale und berufliche Integration), psychischen (mangelnde Belastbarkeit und mangelndes Selbstwertgefühl) und psychiatrischen (autistische Züge, Depression) Problemen wichtig. Tabelle 1: Symptome und Befunde bei Galaktosämie Krankheit Klassische Galaktosämie Milde («variant») Galaktosämie GALK-Mangel Peripherer GALE-Mangel Generalisierter GALE-Mangel Ursache (defektes Enzym) GALT: «G0» = (praktisch) keine Restaktivität GALT; inkl. «Duarte»Variante GALK GALE; betrifft nur Erythrozyten GALE; alle Organe betroffen Symptome Befunde Behandlung Akut: ausgeprägter Gewichtsverlust/Gedeihstörung, Hypotonie, Somnolenz, Trinkschwäche, Erbrechen Falls unbehandelt: Katarakte, Leberzirrhose, Tod Chronisch: (sprachliche) Entwicklungsverzögerung, Schulprobleme (Rechenschwäche), Tremor, Bewegungsstörungen; soziale und psychiatrische Probleme; primäre Ovarialinsuffizienz, Infertilität (Frauen) Keine, evtl. prolongierter Neugeborenen-Ikterus – Keine Wie «G0» Akut: ausgeprägte Gelbsucht, vergrösserte Leber, Hämatome, pralle Fontanelle; septisches Zustandsbild, E.-coli-Sepsis, renale Tubulopathie, ↑ Galaktose, ↑ Galaktose-1-Phosphat, Leberenzyme, Bilirubin, ↓ Gerinnung; Urin: positiver Clinitest (reduktive Substanzen) infolge Galaktosurie und Glukosurie Diät; regelmässige Betreuung, symptomatisch Galaktose und Clinitest normal, ↑ Galaktose-1-Phosphat, im Verlauf regredient auf Zielbereich Galaktose-1-Phosphat normal, ↑ Galaktose, Galactitol Katarakt Galaktose normal, ↑ Galaktose-1-Phosphat Wie «G0» Falls Variante bestätigt: keine* Diät; ophthalmologische Kontrollen Falls periphere Form bestätigt: keine Wie «G0» *Teildiät im Säuglingsalter derzeit noch in gewissen Ländern. GALT: Galaktose-1-Phosphat-Uridyl-Transferase (GAL-Transferase); GALK: Galaktokinase (GAL-Kinase); GALE: UPD-Galaktose-1,4-Epimerase (GALEpimerase). Die Klassifizierung der Galaktosämien basiert auf dem betroffenen Enzym und der Ausprägung des Mangels. Die Inzidenz der klassischen Galaktosämie beträgt ≈ 1:50 000 Neugeborene; die errechnete Inzidenz der milden Varianten ist deutlich grösser (4). GALK- und peripherer GALE-Mangel sind sehr selten, und der generalisierte GALE-Mangel wurde nur bei vereinzelten Patienten und Familien beschrieben. 2/15 14 ERNÄHRUNG UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN BEI KINDERN Offene Fragen und Forschung Seit Einführung des Neugeborenenscreenings für Galaktosämie treten die früher dramatischen Stoffwechselentgleisungen von Neugeborenen mit klassischer Galaktosämie kaum mehr auf. Dafür sollen möglichst wenige milde Varianten erfasst werden. Für Familien ist das mit viel – und oftmals unnötiger – Aufregung verbunden; im Gesundheitswesen fallen Kosten für den Aufwand an. Sowohl in der Schweiz als auch in anderen Ländern werden milde Varianten, inklusive der häufigsten sogenannten Duarte-2-Variante, in den meisten Zentren seit Jahren nicht mehr behandelt. Dagegen werden zum Beispiel in mehreren US-Staaten deutlich mehr milde Galaktosämien erfasst und zum Teil im Säuglingsalter auch behandelt. Es gibt bis anhin nur wenige Studien, die aufzeigen, dass eine Behandlung – und damit auch das Screening – dieser milden Varianten nicht nötig ist. Den deutlichsten Hinweis dafür liefern Länder wie Frankreich. Dort werden Neugeborene gar nicht auf Galaktosämie gescreent, und trotzdem leiden die betroffenen Personen nicht an den Langzeitkomplikationen. Auch die Frage, ob gewisse oder auch alle Gemüsesorten und Früchte aufgrund ihres Galaktosegehalts gemieden werden sollten, wurde während Jahren kontrovers diskutiert. Die Bestrebungen, alle Galaktosequellen strikt aus der Diät auszuschliessen, brachten keinen sichtbaren Erfolg. In letzter Zeit beginnt sich ein Konsens abzuzeichnen, alle Gemüse und Früchte sogar ohne Einschränkungen zu erlauben. Dieser Konsens wird gegenwärtig durch eine Arbeitsgruppe des internationalen Galaktosämie-Netzwerks im Rahmen von allgemeinen Leitlinien zur Diagnose und Behandlung der Galaktosämie formalisiert und sollte Ende 2015 der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. In der Schweiz wird im Allgemeinen eine galaktosefreie Elementarnahrung (wie oben beschrieben) empfohlen. In anderen Ländern wird hingegen ein Produkt auf Sojaeiweissbasis als erste Wahl angegeben und empfohlen (8). Einen endgültigen internationalen Konsens wird es in Bezug auf die Ernährung wahrscheinlich Tabelle 2: Prinzipien der diätetischen Behandlung der Galaktosämie • Laktosefrei, galaktosearm • Im Säuglingsalter: galaktosefreie Elementarmilch, manche verwenden Sojamilch • Gemüse und Früchte frei • Gewisse Käsesorten sind erlaubt, da sie galaktosefrei sind • Auf genügende Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr achten • Lockerung ab 15 Jahren Tabelle 3: Galaktosearme und laktosefreie Ernährung Geeignete Lebensmittel Galaktosefreie Säuglingsnahrung Alle Hart- und Halbhartkäsesorten Weichkäse: laktosefreie Sorten (siehe Tabelle 4) Pflanzenöle, tierische Fette, Butterreinfett Fleisch, Geflügel, Wild, Fisch, Ei Hülsenfrüchte; Soja, Sojamilchprodukte Gemüse Obst, Fruchtsäfte, Nüsse Getreide aller Art, Getreidedrink Brot, Zerealien, Teigwaren Kartoffeln Sofern keine Milchbestandteile enthalten: Schwarze Schokolade Wasserglace, Sorbet (selbst gebackene) Kuchen und Kekse Reines Kakao- und Schokoladenpulver Konfitüre, Honig, Zucker Kräuter, Gewürze, Salz, Essig Wasser, Tee, Limonaden Alle E-Nummern inkl. E 270 (Milchsäure), E 327 (Calciumlactat); Ausnahme E 966 Ungeeignet Frauenmilch Kuhmilch (auch laktosefreie Milch!) Schaf-, Ziegen-, Stuten-, Kamelmilch Joghurt, Kefir, Flan Rahm, Sauerrahm, Molke, Milchserum, Buttermilch, Kondensmilch Milchpulver, Magermilchpulver, Milchzucker (Milchprotein: nur geringer Restlaktosegehalt) Frischkäse, Quark, Hüttenkäse, Ziger Butter, Margarine mit Milchbestandteilen Fertigprodukte oder Gerichte mit Milchzusatz wie Kalbsbratwurst, Innereien Fertigprodukte wie Rahmspinat Fruchtsaft mit Molke Produkte mit Milchzusatz wie Zopf, Zwieback Gerichte mit Milchzusatz wie Stock, Gratin Milchschokolade, Pralinen Rahmglace, Milchglace Kuchen, Torten, Biscuits, Patisserie Frühstücksgetränkepulver mit Milchzusatz Nussnougatcreme Laktosehaltige Streuwürzen Milchserumhaltige Getränke E 966 (Lactit, Lactitol) Tabelle 4: Zusammensetzung von Milch und Milchprodukten schweizerischer Herkunft Milchprodukt Voll-, Drink-, Magermilch (Kuhmilch) Joghurt nature, Aromajoghurt, Fruchtjoghurt, Bifidus Vollrahm, Halbrahm, Kaffeerahm Butter/Bratbutter Ziger Brie, Camembert, Limburger, Reblochon, Tomme, Vacherin Mont d’Or Raclette, Tête de Moine, Vacherin fribourgeois Appenzeller, Appenzeller ¼-fett, Tilsiter (Rohmilch, Pastmilch) Emmentaler, Greyerzer, Sbrinz Glarner Schabziger (Stöckli und Pulver) Laktose (g/100 g) 4,6–4,7 2,9–4,2 3,1–3,8 0,6/0 3,3 0 0 0 0 0 Quelle: modifiziert nach Sieber R., ALP 2012 (9) 15 2/15 ERNÄHRUNG UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN BEI KINDERN nie geben, aber auch nicht brauchen, da dieser Entscheid auf einer unterschiedlichen Gewichtung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Milchersatzprodukte beruht. Ausblick Forschungsbemühungen richten sich derzeit auf das beträchtliche Problem der bis anhin nicht behandelbaren chronischen Komplikationen. Zum Beispiel wird nach aussagekräftigen Biomarkern gesucht, welche die Wirkung von Diätlockerung oder potenziell neuen Therapien laborchemisch nachvollziehen lassen (11). Eine weitere Stossrichtung besteht in der Untersuchung der pathologischen Vorgänge, insbesondere der abnormen Glykosylierung, welche die neurologischen und endokrinologischen Störungen erklären könnten. Schliesslich wird versucht, bei gewissen Galaktosämiemutationen durch Medikamente eine Verbesserung der Restaktivität des GALT-Enzyms zu erzielen und damit eine klassische Galaktosämie in eine milde Variante zu verwandeln. Korrespondenzadresse: Dr. med. Matthias Gautschi Oberarzt Interdisziplinäres Stoffwechselteam Universitätsklinik für Kinderheilkunde und Universitätsinstitut für klinische Chemie Freiburgstrasse 7 Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: matthias.gautschi@insel.ch Referenzen: 1. Berry GT. Galactosemia: When is it a newborn screening emergency? Mol Genet Metab 2012; 106: 7–11. 2. Berry GT. Classic Galactosemia and Clinical Variant Galactosemia. GeneReviews – NCBI Bookshelf, last update April 3, 2014. 3. Bosch AM. Classical galactosaemia revisited. J Inherit Metab Dis 2006; 29: 516–525. 4. Pyhtila BM, Shaw KA, Neumann SE, Friedovich-Keil JL. A brief overview of galactosemia newborn screening in the United States. J Inherit Metab Dis 2014; 37: 649–650. 5. Ernährungskommissionen DGKJM & SGP: Konsensuspapier: Stellungnahme zur Verwendung von Säuglingsnahrungen auf Sojaeiweissbasis. Paediatrica 2006; 17 (5): 16–19. 6. Vandenplas Y et al.: Safety of soya-based infant formulas in children. Brit J Nutr 2014; 111: 1340–1360. 7. Bosch AM. Classic galactosemia: dietary dilemmas. J Inherit Metab Dis 2011; 34: 257–260. 8. Van Calcar S et al. A re-evaluation of life-long severe galactose restriction for the nutrition management of classic galactosemia. Mol Genet Metab 2014; 112: 191–197. 9. Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der GAllD 2011, siehe: www.galid.de/ (geschützter Zugriff) 10. Sieber R. Zusammensetzung von Milch und Milchprodukten schweizerischer Herkunft. ALP science 2012; 538: 11. 11. Coss KP et al. IgG N-glycans as potential biomarkers for determining galactose tolerance in Classical Galactosaemia. Mol Genet Metab 2012; 105: 212–220. Serie Steinzeitdiät: Essen wie in der Steinzeit – Darwin als ultimativer Ernährungsratgeber!? Alternative Ernährungsformen erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit; darunter die «Steinzeiternährung» («Paläo-Diät»). Dies umso mehr, als einige Evolutionsmediziner die Ansicht vertreten, dass das Paläokonzept von präventivmedizinischer Relevanz sei (1–10). Im 1. Teil dieser Beitragsserie von Dr. Alexander Ströhle und Prof. Andreas Hahn von der Abteilung Ernährungsphysiologie und Humanernährung, Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Leibniz-Universität Hannover, wurden die theoretischen Grundsäulen des Paläokonzepts dargestellt und die zugrunde liegende Anpassungsthese kritisch beleuchtet (11). Im 2. Beitrag wurde geklärt, wie eine Ernährung nach dem «Paläoprinzip» im Detail beschaffen ist und was wir tatsächlich über die Ernährungsweise in der Altsteinzeit wissen. Gegenstand des 3. Teils war die Beschaffenheit der Ernährung von Wildbeutern. In diesem abschliessenden 4. Beitrag sollen die evolutionsgenetischen Annahmen des Paläokonzepts untersucht und eine ernährungsphysiologische und präventivmedizinische Bewertung vorgenommen werden. Die These von der genetischen Konstanz auf dem Prüfstand Zentral für das Paläokonzept ist die Annahme, der Mensch habe im Verlauf der letzten 10 000 Jahre keine Möglichkeit gehabt, sich genetisch an die «neuen» Lebens- und Ernährungsverhältnisse anzupassen. Denn, so das Argument, Evolution im Allgemeinen und komplexe Anpassungsprozesse im Besonderen nehmen sehr lange Zeiträume in Anspruch (siehe Teil 1 der Beitragsserie). Was auf den ersten Blick plausibel anmutet, hält einer Überprüfung bei näherer Betrachtung aus mehreren Gründen nicht stand (5): Genotypische versus phänotypische Evolution. Ganz offensichtlich basiert das Paläokonzept auf einer genzentrierten Sicht von Evolution. Danach beruht evolutionärer Wandel auf der Trias Mutation, genetische Rekombination und Genselektion. Dieser mikroreduktio- nistische Ansatz wurde wiederholt kritisiert. Unbestritten ist, dass die genannten Mechanismen notwendige Elemente im Evolutionsgeschehen sind. Den vollständigen Beitrag von Dr. Alexander Ströhle und Prof. Andreas Hahn von der Abteilung Ernährungsphysiologie und Humanernährung, Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung, der Leibniz-Universität Hannover, lesen Sie unter: www.sze.ch, Ausgabe 2/2015. Info: Die Serie im Überblick Teil 1: Vom Paläokonzept zum Anpassungsparadigma, SZE 2/2014 Teil 2: Auf der Suche nach «der» paläolithischen Ernährung – paläokologische Befunde, SZE 4/14 Teil 3: Auf der Suche nach «der» paläolithischen Ernahrung – ethnologische Befunde, SZE 5/2014 Teil 4: Fragen der Evolutionsgenetik und präventivmedizinisches Potenzial der Paläodiät, SZE 2/2015 (online) 2/15 16