Transkript
SCHWERPUNKT
Die «globale Epidemie» und Fertilität
Auswirkungen der Adipositas auf die menschliche Reproduktion
Adipositas stellt einen markanten Faktor für das Vorliegen einer Subfertilität dar, welche sich durch gehäufte anovulatorische Zyklen äussert. Folgen sind die reduzierte Schwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Zyklus, eine verlängerte Latenz bis zum Eintritt einer Schwangerschaft sowie eine erhöhte Abortrate. Im Folgenden werden neuere Erkenntnisse zu medizinischen Hintergründen und zu therapeutischen Möglichkeiten beschrieben.
SÖREN VON OTTE
Die Prävalenzen von Übergewicht, definiert als Vorliegen eines BMI von 25,0 bis 29,9 kg/m2, oder Adipositas (nach Definition ab einem BMI > 30 kg/m2) nehmen weltweit zu (1, 2). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Adipositas in Anlehnung an die Terminologie der Infektionskrankheiten als «globale Epidemie», da die Prävalenz in den Industrieländern in den letzten Jahrzehnten in allen Bevölkerungsgruppen (Kinder, Erwachsene, Ältere sowie Frauen und Männer) stark angestiegen ist. Aus den Industrieländern werden jährliche Prävalenzzunahmen von 1% bis 6% berichtet, wobei hier Männer stärker als Frauen betroffen zu sein scheinen (3).
Tabelle 1:
Einteilung von Übergewicht und Adipositas gemäss der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) anhand des BodyMass-Indexes (BMI)
Kategorie Untergewicht Normalgewicht Übergewicht Adipositas Grad I Adipositas Grad II Adipositas Grad III (Adipositas permagna oder morbide Adipositas)
BMI (kg/m2) < 18,5 18,5–24,9 25–29,9 30–34,9 35–39,9 ≥ 40 Australische Daten zeigen, dass auf Grundlage der BMI-Klassifikation 60% der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig und 21% sogar adipös sind. Wir wissen, dass sich die Prävalenzen in den westlich entwickelten Industrieländern in den letzten 20 Jahren verdoppelt haben und sich dieser Trend unvermindert fortsetzt. Es ist davon auszugehen, dass das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aufgrund von Fol- geerscheinungen wie Typ-II-Diabetes, essenzielle arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie, die als kardiovaskuläre Risikofaktoren gelten, steigt. Adipositas erhöht darüber hinaus die Prävalenz von Osteoarthrose, Asthma bronchiale, Schlafapnoe, Karzinomerkrankungen (kolorektales Karzinom, Endometriumkarzinom, postmenopausaler Brustkrebs). Subfertilität und erhöhtes Abortrisiko Darüber hinaus stellt Adipositas einen wichtigen Faktor für das Vorliegen einer Subfertilität dar. Letzteres äussert sich im gehäuften Auftreten anovulatorischer Zyklen mit einer Abnahme der Fekundabilität (Schwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Zyklus), einer Steigerung der Abortrate, also einer Abnahme der Fekundität (Wahrscheinlichkeit einer erfolgreich ausgetragenen Schwangerschaft pro Zyklus), sowie einer zunehmenden Latenz bis zum Eintritt einer Schwangerschaft (time to pregnancy, TTP) (4). Ätiologie von Übergewicht und Adipositas Sozialer Wandel Übergewicht und Adipositas stehen in engem Zusammenhang mit dem sozialen Wandel des modernen Lebens entwickelter Industrieländer: überwiegend sitzender Lebensstil, Abnahme der physischen Aktivität sowie Zunahme von diätetischer Energiedichte und -zusammensetzung stellen charakteristische Merkmale unserer Zeit dar. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind komplex und umfassen kulturelle, psychosoziale und genetische Faktoren, die mit beiden Facetten der Energiebilanz (Energieaufnahme und -verbrauch) interagieren. Beispielsweise wissen wir, dass Adipositas mit einer klaren so- 6 GYNÄKOLOGIE 1/2015 SCHWERPUNKT zialen Benachteiligung einhergeht und die Prävalenz der Adipositas in ökonomisch schwächeren Schichten 3- bis 5-mal höher ist als in höheren Schichten (3). Interessanterweise zeigten Adoptionsstudien eine starke negative Assoziation zwischen der sozialen Klasse der Adoptiveltern und dem BMI des Kindes, während die Beziehung zwischen dem BMI der Adoptiveltern und dem BMI des Adoptivkindes nicht signifikant ausgeprägt war. Diese Untersuchungen lassen vermuten, dass die Lebensumstände innerhalb einer sozialen Klasse Einfluss auf die Expression von Genen haben, die mit der Adipositas assoziiert sind (5). Lifestyleeinflüsse wie körperliche Aktivität, Alkoholkonsum und Rauchen könnten zusätzlich die Expression von adipositasfördernden Genen stimulieren (6). Zusammenfassend ist die Adipositasentwicklung daher von komplexer Genese und nicht lediglich die Folge einer Imbalance zwischen Energieaufnahme und -verbrauch (7). Die Adipositasentwicklung ist von komplexer Genese und nicht lediglich die Folge einer Imbalance zwischen Energieaufnahme und -verbrauch. Genetische Aspekte Die Evolutionstheorie besagt, dass im Laufe der Zeit Individuen, die sich ihrer Umwelt optimal anpassen können, einen strategischen Überlebensvorteil aufweisen. So überleben nicht alle Individuen einer Population und tragen auch nicht zum Arterhalt durch Reproduktion bei. Andere dagegen sind in der Lage, sich verschiedensten Selektionsdrücken anzupassen, und vererben ihre Gene an die Folgegeneration weiter. Bereits in den Sechzigerjahren publizierten Neel und Kollegen die Hypothese, dass spezifische Genkonstitutionen das Überleben eines Individuums sowohl in Phasen des Nahrungsüberschusses als auch in Phasen von Nahrungsmangel fördern können. So half die Fähigkeit zur effektiven Speicherung und zu sparsamem Verbrauch aufgenommener Energiesubstrate dem frühen Menschen mit einem höheren Körperfettanteil, unter Mangelbedingungen zu überleben (sogenannte «Thrifty-Gene-Hypothese», [8]). In der modernen Welt dagegen kommt ein ausgeprägter Wechsel von Nahrungsüberschüssen und -mangel nicht mehr vor. Vielmehr ist unsere tägliche Substrataufnahme eher durch ein konstantes Nahrungsüberangebot gekennzeichnet. Durch die heutige Lebensstilmodifikation mit dominierendem Energieüberschuss stellen genetische Konstitutionen, die einem Organismus durch sparsamen Verbrauch in Zeiten des Nahrungsmangels einen Überlebensvorteil verschafften, einen Selektionsnachteil dar. Ihre Träger neigen zur Entwicklung von Übergewicht und der oben genannten Folgeerscheinungen der Adipositas. Wenn die vor Urzeiten überlebenswichtigen genetischen Konstitutionen heute einen Selektionsnachteil darstellen sollten, müsste diese genetische Konstitution aus dem Genpool der Population allmählich verschwinden. So vertreten einige Wissenschaftler die Auffassung, dass auch die bei Adipositas reduzierte Fertilität eine Konsequenz des heute unter evolutionären Gesichtspunkten als nachteilig anzusehenden Körperfettanteils darstellt (7). Eine vor Kurzem publizierte Übersichtsarbeit formulierte zusätzlich zu den skizzierten evolutionstheoretischen Überlegungen die Hypothese, dass Patientinnen, bei denen sich ein metabolisches Syndrom (Hypertonie, viszerale Adipositas, Dyslipidämie und Glukosetoleranzstörung bzw. Insulinresistenz) nachweisen lässt, eine fehlerhafte epigenetische Programmierung durchlaufen haben. Diese habe sich während des prä- und frühen postpartalen Lebens als Folge einer inadäquaten maternalen Ernährung und begleitender maternal-metabolischer Störung manifestiert. Unterstützt wird diese Hypothese von Beobachtungen, nach denen Adipositas und Typ-IIDiabetes, die als disponierende Faktoren des metabolischen Syndroms anerkannt sind, von Generation zu Generation immer früher in der Kindheit auftreten und zunehmend auch Schwangere betreffen (9). Metabolische Aspekte Die Assoziation zwischen reproduktiven Störungen und Adipositas wurde erstmals von Stein und Leventhal 1934 publiziert: Adipositas in Kombination mit Hirsutismus und Infertilität zählte zu den Charakteristika des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS), einer multisystemischen endokrinen Störung, die etwa 5% aller Frauen in den Industrieländern im reproduktiven Alter betrifft. Diese Störung zeichnet sich durch eine abnehmende oder gar ausbleibende Ovulationsfrequenz, durch klinische und biochemische Charakteristika eines Hyperandrogenismus und polyzystisch imponierender Ovarien bei transvaginaler Sonografie aus. Die Diagnose wird erhärtet durch den Ausschluss einer adrenalen Hyperandrogenämie («late onset-AGS») respektive eines Cushing-Syndroms oder androgenproduzierender Tumoren. Das PCOS ist assoziiert mit genomischen Varianten, die mit einem erhöhten oxidativen Stress wie der Hyperandrogenämie mit Adipositas, Insulinresistenz und/ oder Typ-II-Diabetes mellitus einhergehen (10). Darüber hinaus wird auch das metabolische Syndrom (d.h. das Vorliegen einer zentralen, stammbetonten Adipositas, eine gestörte Glukosetoleranz, Hypertension sowie eine Dyslipidämie) mit dem PCOS in Verbindung gebracht (11). Adipositas und insbesondere abdominelle Adipositas ist sehr häufig bei Patientinnen mit polyzysti- GYNÄKOLOGIE 1/2015 7 SCHWERPUNKT schem Ovarsyndrom, die in 10 bis 50% der Fälle einen BMI oberhalb von 19 bis 25 kg/m2 aufweisen. Auch wenn Veränderungen wie Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie wie auch die Adipositas und das metabolische Syndrom derzeit nicht in die diagnostischen Kriterien des PCOS integriert sind, wird allgemein akzeptiert, dass PCOS-Patientinnen von diesen Störungen in grossem Umfang betroffen sind (12, 13). Die Mechanismen, mit denen die Adipositas die Pathophysiologie und das klinische Erscheinungsbild des PCOS prägt, sind komplex und heute im Detail noch nicht vollständig verstanden. Mitspieler des komplexen pathophysiologischen Netzwerks sind unter anderem Insulin, das Insulin-like-GrowthFactor-System (IGF), das Opioidsystem, Östrogene und zahlreiche Zytokine sowie insbesondere Leptin (14). Die «reproduktive Leistungsfähigkeit» der Frau bei Adipositas Übergewichtige Frauen weisen eine reduzierte reproduktive Leistungsfähigkeit auf, die an den Parametern Fekundabilität (Schwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Zyklus), Fekundität (Wahrscheinlichkeit einer erfolgreich ausgetragenen Schwangerschaft pro Zyklus) sowie Latenz bis zum Schwangerschaftseintritt (time to pregnancy, TTP) ersichtlich wird. So demonstrierten Jensen und Mitarbeiter, die Frauen mit einem BMI von > 25 kg/m2 mit Frauen eines BMI zwischen 19 und 25 verglichen, dass übergewichtige Frauen nach Adjustierung eine reduzierte Fekundabilität (0,77; 95%-Konfidenzintervall: 0,70–0,84) aufweisen (15). Die eingeschränkte Fertilität lässt sich klinisch durch seltenere oder gar ausbleibende Ovulationen (Anovulationsneigung) sowie Blutungsstörungen erklären, die die TTP erhöhen (Tabelle 2).
Tabelle 2:
Auswirkungen von Adipositas auf verschiedene reproduktionsbiologische Parameter bei der Frau (modifiziert nach [16])
Menstruation
Risiko der Menstruationsstörung, insbesondere
Oligo-/Amenorrhöneigung, Menorrhagie
Infertilität
Risiko für anovulatorische, aber auch ovulatorische
Infertilität, Über- und Unempfindlichkeit für
ovulationsinduzierende Medikamente
Kinderwunschbehandlung Notwendigkeit zum Einsatz ovarstimulierender
Medikamente wie Clomiphenzitrat und/oder
Gonadotropinen, niedrigere Schwangerschafts-
raten im Vergleich zu normalgewichtigen
Patientinnen
Abort
Erhöhtes Risiko für Spontanaborte in der Früh-
schwangerschaft (bei Spontankonzeption und
assistierter Reproduktion)
Schwangerschaft
Erhöhtes Risiko für schwangerschaftsassoziierte
Erkrankungen, Schwangerschaftsdiabetes, fetale
Makrosomie, geburtsmechanische Komplikationen
und höhere Sectiorate
Die eingeschränkte Fertilität lässt sich durch Anovulationsneigung sowie Blutungsstörungen erklären,
die die Latenz bis zum Schwangerschaftseintritt erhöhen.
Die Pathogenese dieser Störung ist letztlich unklar, es ist jedoch wahrscheinlich, dass die gesteigerte Leptinsekrektion des Fettgewebes, die unter Vermittlung durch das Neuropetid Y auf den hypothalamischen GnRH-Pulsgenerator wirkt, die zentrale Regulation der menstruellen Rhythmik stört. Dieser Mechanismus wurde auch mit Störungen des Pubertätsbeginns bei Adipositas (vorzeitige oder verzögerte Pubertätsentwicklung) in Verbindung gebracht (17). Trotz der klinischen Beobachtung, dass viele Mehrgebärende übergewichtig sind und auch erneut wieder schwanger werden, lässt sich anhand umfangreicher Datensammlungen belegen, dass Übergewicht und Adipositas das Eintreten einer Schwangerschaft erschweren. Dies wird beispielhaft durch Auswertungen der Nurses-Health-Study demonstriert, in die auch über 2500 verheiratete, aber ungewollt kinderlose Krankenschwestern eingeschlossen wurden. Das relative Risiko einer ovulatorischen Infertilität stieg von 1,3 in der Gruppe mit normalem BMI auf über 2,7 in der Gruppe mit einem BMI über 32 kg/m2 (18). Die Assoziation zwischen Adipositas und reproduktiven Störungen wurde bereits früh berichtet. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass Veränderungen von Körpergewicht oder -zusammensetzung kritische Faktoren für die Regulation der Pubertätsentwicklung darstellen. Die Entdeckung des Leptins lieferte entscheidende Beweise einer endokrinen Regulation der Initiierung der Pubertätsentwicklung sowie der Funktion des reproduktiven Systems (19). So ist das Alter der Menarche bei übergewichtigen generell niedriger als bei normalgewichtigen Mädchen. Es gibt weiterhin Hinweise, dass bei adoleszenten und jungen Frauen das Alter der beginnenden Adipositas mit Menstruationsstörungen und einer Oligo-Anovulationsneigung signifikant korreliert (20). Neben der Nurses-Health-Study wurde der Zusammenhang zwischen der Abnahme des fertilen Potenzials bei steigendem Body-Mass-Index noch in zahlreichen prospektiven und Querschnittsstudien dokumentiert. Diese werden in einer Übersichtsarbeit von Linnè zusammengefasst (21). Eine besondere Bedeutung für das reproduktive System kommt dem Fettverteilungsmuster zu: Die Betonung der abdominellen Fettdepots (androides Verteilungsmuster) scheint sich ungünstiger auf die Konzeptionschancen auszuwirken als beim gynäkoiden
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Typ (Hüftbetonung) oder einer allgemeinen Erhöhung des Gesamtkörperfettgehalts (22). Die günstigen Effekte einer Gewichtsreduktion auf die Fertilität adipöser Patienten wurden in Studien wiederholt demonstriert (23). Gewichtsabnahme steigert die Chancen für spontane oder stimulierte Ovulationen. Daher sollte allen Frauen mit erhöhtem BMI in der prätherapeutischen Beratung eine LifestyleModifikation mit körperlicher Aktivierung und Umstellung des Ernährungsprogramms (bzw. Teilnahme an einem Gewichtsreduktionsprogramm) empfohlen werden. Zum anderen steht der betreuende Arzt der Problematik gegenüber, dass die Gewichtsreduktion langfristig in über 90% der Fälle erfolglos ist, die Patientin bereits mehrere frustrane Versuche der Gewichtsreduktion aufgegeben hat und möglicherweise auch ein biologisches Alter erreicht, in dem eine weitere Therapieverschiebung zur Gewichtsreduktion sich ebenfalls prognostisch ungünstig auf die Fertilität auswirken kann. Dies gilt insbesondere für Patientinnen nach dem 35. Lebensjahr. Nicht selten wird in der Beratungssituation der Punkt erreicht, an dem eher zur Fortsetzung der Kinderwunschtherapie geraten wird, da die Wahrscheinlichkeit, eine Lebendgeburt zu erzielen, mit unmittelbarem Therapiebeginn grösser erscheint als bei einem weiteren Zuwarten und Hoffen auf eine Gewichtsreduktion (23).
Therapeutische Aspekte bei Kinderwunsch
Zu den therapeutischen Ansätzen einer Optimierung der Fertilität zählt an erster Stelle die Lifestyle-Modifikation mit körperlicher Aktivierung und paralleler Gewichtsreduktion, danach folgen ein Einsatz von Insulinsensitizern und pharmakologische Strategien zur Ovulationsinduktion respektive Massnahmen der assistierten Reproduktion wie In-vitro-Fertilisation (IVF) und intrazytoplasmatische Spermatozoeninjektion (ICSI) in Abhängigkeit von weiteren Begleitfaktoren der Infertilität (Tubenfaktor, Spermiogrammbefund). Die primäre Strategie bei adipösen Frauen sollte die Gewichtsreduktion sein. Die Effizienz dieser Massnahme ist in zahlreichen Studien hinreichend belegt worden. Dadurch ist die Wiederherstellung ovulatorischer Zyklen mit regelrechten Menstruationsintervallen in vielen Fällen möglich. Interessanterweise scheint eine ausgeprägte Gewichtsreduktion, die nachhaltig auch oft gar nicht zu erreichen ist, nicht erforderlich zu sein. Vielmehr ist bereits eine milde Gewichtsreduktion von etwa 5 bis 10% des Ausgangsgewichtes äusserst Erfolg versprechend (24). Zur Förderung der Gewichtsabnahme und zur therapeutischen Beeinflussung einer pathophysiologisch relevanten Insulinresistenz dient die Aufnahme regelmässiger körperlicher Aktivität, beispielsweise ein
3-mal pro Woche durchgeführter zügiger Spaziergang über mindestens 30 Minuten Dauer. Dies sollte stufenweise im Rahmen eines gezielten und möglichst angeleiteten Bewegungsprogramms ausgebaut werden. Im Falle einer mittels oralen Glukosetoleranztests nachgewiesenen Hyperinsulinämie bei Insulinresistenz (Blutzucker- und Insulinbestimmung nach standardisierter Nüchternglukosebelastung über 2 Stunden) stehen Insulinsensitizer wie Metformin oder Substanzen der Thiazolidindiongruppe zur Verfügung. Eine Vielzahl von Publikationen zu diesem Themenkomplex sind bereits erschienen und sollen hier nicht erneut diskutiert werden (25).
Eine ausgeprägte Gewichtsreduktion scheint nicht erforderlich zu sein.
Bereits ein Verlust von 5 bis 10% des Ausgangsgewichtes ist ausreichend.
Bei ausbleibendem Erfolg oder auch in Kombination mit diesen eher kausalpathogenetisch orientierten Massnahmen werden ovulationsinduzierende Substanzen wie Clomifenzitrat oder Gonadotropine in urinärer und kombinanter Form eingesetzt. Diese können mit Massnahmen der Zyklusüberwachung zum Ziel des Verkehrs zum Optimum (VzO) und der intrauterinen Insemination (IUI) kombiniert werden. Letztgenannte Substanzen stellen auch die Grundlage der gezielten Überstimulationstherapie bei assistierter Reproduktion dar. Die Behandlung der anovulatorischen Infertilität bei übergewichtigen Frauen erfordert jedoch in der Regel erhöhte Dosierungen von Clomifenzitrat oder Gonadotropinen, um einen ovulatorischen Zyklus zu erzielen. Diese relative Unempfindlichkeit reflektieren auch Daten von IVF-Programmen, die eine niedrigere Schwangerschaftsrate demonstrieren. Dennoch sind die Einflüsse von Übergewicht und Adipositas auf das Outcome einer assistierten Reproduktion weniger genau untersucht. Effekte auf den Therapierfolg einer assistierten Reproduktion wurde insbesondere erst in jüngeren Kohortenstudien untersucht (26, 27). Die grösste populationsbasierte Studie dieser Art stammt aus Dänemark. So untersuchten Petersen und Kollegen in einer dänischen Registerstudie an über 25 000 IVFoder ICSI-Zyklen, die an mehr als 12 000 Frauen zwischen 2006 und 2010 durchgeführt wurden, den Effekt eines erhöhten BMI beider Partner. Die Autoren konnten sowohl einen negativen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt durch einen erhöhten BMI eines einzelnen Partners als auch eine Effektzunahme durch erhöhten BMI beider Partner eindrucksvoll belegen (26). Dennoch sind diese Ergebnisse nicht unwidersprochen. So kommt eine weitere, soeben vorab online publizierte prospektive Kohortenstudie aus den USA
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zu dem Schluss, dass negative Effekte im Rahmen der assistierten Reproduktion nicht eindeutig nachzuvollziehen sind. An einer Fallzahl von über 700 Paaren, die im ähnlichen Zeitfenster von 2005 bis 2010 in den USA behandelt wurden, konnten negative Effekte auf das Outcome nicht eindeutig belegt werden (27). Weitere Studien werden folgen müssen, um diese Zusammenhänge klären und ableitbare Handlungsempfehlungen untermauern zu können.
Fazit für die Praxis
Aufklärung und Behandlung der Adipositas stellen
heute aufgrund der vorliegenden epidemiologi-
schen Daten eine volkswirtschaftliche Herausforde-
rung dar, welcher der von der WHO geprägte Begriff
«globale Epidemie» gerecht wird. Adipöse Patientin-
nen weisen nach vorliegenden Daten eine Abnahme
ihrer Fertilität auf. Das kurzfristige Ziel der Erfüllung
des Kinderwunsches durch therapeutische Interven-
tion bei adipositasassoziierter Infertilität basiert we-
sentlich auf einer Gewichtsreduktion in Verbindung
mit körperlicher Aktivierung, Optimierung der Insu-
linsensitivität und pharmakologisch-technischen
Möglichkeiten zur Ovulationsinduktion respektive
extrakorporalen Fertilisation bei zusätzlichen Indika-
tionen zur assistierten Reproduktion. Auswirkungen
der Adipositas auf das Outcome einer assistierten
Reproduktion sind weniger gut untersucht – jedoch
geben umfangreiche Kohortenstudien Grund zu der
Annahme, dass auch hier eine prätherapeutische Ge-
wichtsoptimierung sehr sinnvoll ist.
Motivationshilfen für eine Gewichtsreduktion und
Lifestyle-Änderung bei adipositasassoziierter Inferti-
lität können auch Hinweise auf einen ungestörten
Schwangerschaftsverlauf und risikoreduzierte Ge-
burtsbedingungen sein. Darüber hinaus ist die Adi-
positas in erheblichem Masse für Langzeitkomplika-
tionen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes
mellitus, aber auch Karzinomerkrankungen mitverant-
wortlich. Das langfristige Ziel einer metabolisch-
endokrinen Optimierung der betroffenen Patientin
sollte daher insbesondere im Hinblick auf diese Kon-
sequenzen ebenfalls nicht aus dem Auge verloren
werden.
I
PD Dr. med. Sören von Otte Leiter des Fachbereiches Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Arnold-Heller-Strasse 3 D-24105 Kiel E-Mail: Soeren.vonOtte@uksh.de
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