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Hypertonie und Demenz: Wo ist der Zusammenhang?
Dass Menschen im Durchschnitt immer älter werden, ist nicht gerade eine marktschreierische Neuigkeit. Dass alte Menschen häufig an Bluthochdruck und Demenzkrankheiten leiden ebenfalls nicht. Neu ist allerdings die Forschung, die sich mit dem Nexus der beiden Probleme auseinandersetzt. Was bedeuten die neuen Erkenntnisse für die Praxis?
V ergleicht man in verschiedenen Altersgruppen den Blutdruck, so findet man bei der älteren Bevölkerung einen Trend hin zur isolierten systolischen Hypertonie. Die Demarkationslinie liegt bei etwa 50 Jahren. Unter 50-jährige Menschen leiden eher an einer diastolischen Hypertonie. Die Hypertonie-Leitlinien der ESH/ESC («European Society of Hypertension/European Society of Cardiology») berücksichtigen das Alter der Patienten. Sie unterscheiden zwischen den unter 80-jährigen und den über 80-jährigen Hypertonikern (1). Die generelle Empfehlung lautet: Bei älteren Menschen mit einem systolischen Blutdruck ≥ 160 mmHg sollte der Wert zwischen 140 und 150 mmHg eingestellt werden. Bei fitten Hypertonikern unter 80 Jahren mit einem systolischen Blutdruck ≥ 140 mmHg kann eine antihypertensive Therapie geprüft werden. Das Ziel ist, den systolischen Blutdruck unter 140 mmHg zu bringen, vorausgesetzt, der Betroffene verträgt die Behandlung. Die über 80-jährigen Hypertoniker mit einem systolischen Blutdruck ≥ 160 mmHg haben ihren Zielwert zwischen 140 und 150 mmHg. Das gilt für Patienten in guter physischer und psychischer Verfassung.
Ab welchem Alter ist ein Patient ein älterer Patient? Sollte man nun auch ältere Patienten mit einem Blutdruck zwischen 140 und 160 mmHg antihypertensiv behandeln? Diese Frage lässt sich erst beantworten, wenn man weiss, ab welchem Alter ein Patient ein älterer Patient ist. Das ist von Leitlinie zu Leitlinie unterschiedlich; und es gibt viele davon. Die Leitlinien des JNC («Joint National Committee») aus dem Jahr 2014 trennen beispielsweise die Patienten bezüglich Behandlungsziele in die über 60-Jährigen sowie die unter 60Jährigen (2). Andere Guidelines ziehen die Trennlinie bei 80 Jahren. Damit noch nicht genug, differieren die Zielwerte in den Leitlinien zwischen 130/80 und 150/90 mmHg.
Blutdrucksenkung reduziert Ereignisse Grundsätzlich ist die Behandlung der Hypertonie bei Älteren sehr effizient, wie Studien zeigen konnten: Sie reduziert grössere kardiovaskuläre Ereignisse, wie zum Beispiel Schlaganfälle, koronare Herzerkrankungen etc. Die HYVET-Studie mit über 80-Jährigen wurde wegen der Wirkung auf die Herzinsuffizienzrate sogar vorzeitig beendet, wie Prof. Dr. med. Michel Burnier, Chefarzt der Nephrologie am Universitätsspital Lausanne, erinnerte (3). Dennoch müsse man die Daten der Studien mit älteren Patienten mit gewissen Vorbehalten
betrachten; so waren die Teilnehmer generell gesünder als dieselbe Altersgruppe in der Durchschnittsbevölkerung. Auch müssen die Vorteile einer Blutdrucksenkung unter 160 mmHg weiter untersucht werden. Alles in allem wurden in den Studien kaum Werte unter 150/80 mmHg erzielt, der Nutzen einer weitergehenden Senkung muss erst noch belegt werden.
Führt Hypertonie zu Demenz? Für eine Blutdrucksenkung zur Vorbeugung
Michel Burnier
zerebraler Schäden gibt es laut den ESH/ESC-Leitlinien eine
gute Evidenz. Folgende Blutdruckwerte werden als Therapie-
ziele empfohlen:
• 140/90 mmHg für Hypertoniker ohne spezielle Risiken
• 140/85 mmHg für Hypertoniker mit Diabetes mellitus
• 150/90 mmHg für Hypertoniker, die 80 Jahre oder älter sind
Burnier sagte, es fehle noch an Studien, welche die Präven-
tion kognitiver Störungen durch eine antihypertensive Thera-
pie belegen. Ebenso wenig sei untersucht, ob sich eine
Demenz durch Blutdrucksenkung hinauszögern liesse, wenn
sie bereits begonnen hat.
Zwischen 1962 und 2000 schien sich kein Mensch für den Zu-
sammenhang zwischen Bluthochdruck und kognitiven Funk-
tionen zu interessieren. Erst in diesem Jahrtausend nahm die
Zahl der Untersuchungen zum Thema beträchtlich zu. Für Bur-
nier sind Studien wichtig, die den pathophysiologischen Zu-
sammenhang zwischen Bluthochdruck und Schäden im Ge-
hirn, wie Schlaganfall oder Demenzkrankheiten, eindeutig
belegen. Ist der pathophysiologische Pfad bekannt, greift
auch die primäre Prävention. Wenn Patienten mit Hypertonie
bereits bei der Demenz angekommen sind, bleibt nur die se-
kundäre Prävention.
Auch wenn Untersuchungen zu Bluthochdruck und Hirnschä-
den noch dünn gesät sind, gibt es Hinweise, dass beides zu-
sammenhängt. Einige Forscher analysierten die Korrelation
zwischen Blutdruck und Schäden der weissen Hirnsubstanz,
Mikroblutungen im Gehirn, Demenzkrankheiten sowie der Ab-
nahme kognitiver Fähigkeiten (4-10). Bei all diesen Studien
zeigte sich ein Zusammenhang: Zum Beispiel beschädigt ein
hoher Blutdruck die weisse Hirnsubstanz, was wiederum mit
einer Zunahme von Demenzkrankheiten einhergeht (4, 8).
Eine der Untersuchungen zum Thema Hypertonie und Demenz
kann mit einer Beobachtungszeit von 15 Jahren aufwarten (8).
Kardiologie • Mai 2015 19
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Die Forscher beobachteten während dieser Zeit 382 Menschen, die im Alter von 70 Jahren noch keine Zeichen einer Demenzkrankheit zeigten. Diejenigen, die im Alter zwischen 79 und 85 Jahren irgendeine Form von Demenz entwickelten, hatten bereits im 70. Lebensjahr einen höheren Blutdruck als die Vergleichsgruppe ohne Demenzkrankheit. Sehr deutlich zeigte sich der Unterschied beim diastolischen Blutdruck. Die Blutdruckwerte nahmen in den Jahren vor dem Beginn der Demenz ab und sanken ab 80 Jahren auf das Blutdruckniveau der nicht Betroffenen. Dennoch dürfen wir nicht bis 80 warten, bevor
Diabetes mellitus und Hypertonie: Polypharmazie im Auge behalten
Diabetes mellitus und Hypertonie vertragen sich schlecht: Die Arterioskle-
rose läuft wie im Zeitraffer ab. Somit ist klar, dass Bluthochdruck bei Dia-
betikern einer Therapie bedarf. Ein Problem, das dabei entsteht, ist die Po-
lypharmazie. Prof. Dr. med. Roger Lehmann, leitender Arzt an der Klinik für
Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zü-
rich, ging in seinem Vortrag auf dieses Problem ein. Ein typischer Patient mit
Typ-2-Diabetes braucht etwa elf Medikamente pro Tag: Das geht von Met-
formin über Amlodipin bis zu Sildenafil. Je mehr Medikamente, desto
schlechter die Compliance. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2007 zeigte,
dass Kombipräparate die Non-Compliance um ein Viertel senken können
(13). Mit Kombipräparaten, sofern verfügbar, liesse sich die Compliance un-
ter den Diabetikern verbessern. Ideal wären maximal fünf Medikamente pro
Tag. Werden es mehr, lässt die Compliance rasch nach.
Lehmann stellte in diesem Zusammenhang eine Studie vor, die den positi-
ven Effekt einer Dreierkombination von Antihypertonika belegte (14): Die
Kombination von Olmesartan, Amlodipin und Hydrochlorothiazid zeigte die
beste blutdrucksenkende Wirkung verglichen mit verschiedenen Zweier-
kombinationen dieser Medikamente.
Auch bei Diabetikern rückt die individuelle Behandlung der Hypertonie in den
Fokus der Medizin. Es gilt nicht nur, eine gute Compliance zu erreichen, son-
dern auch massgeschneiderte Zielwerte für den Blutdruck zu definieren. Je
nach Begleitkrankheiten sollte man die Zielwerte anpassen. Der generelle
Zielwert für Diabetiker liegt bei < 140/90 mmHg. Kommt eine Funktions- störung der Nieren hinzu, sollte der systolische Blutdruck auf < 130 mmHg gesenkt werden. Bei hohem Risiko für einen Hirnschlag empfiehlt Lehmann einen systolischen Zieldruck von 120 bis 130 mmHg. Bei kardiovaskulären Problemen schliesslich muss der diastolische Blutdruck beobachtet werden: Er sollte zwischen 70 und 90 mmHg liegen, damit die Perfusion der Koronar- arterien gewährleistet bleibt. ANL Herzhypertrophie: physiologisch oder pathologisch? Trainiert man einen Skelettmuskel, passt er sich durch Hypertrophie an. Dasselbe gilt für den Herzmuskel. PD Dr. med. Christian Schmied, Leiter kardiologische Ambulanz, Sportkardiologie und ambulante Rehabilitation, Universitätsspital Zürich, beleuchtete einige Punkte zum Thema Sportler- herz. Eine Herzhypertrophie entsteht ausschliesslich bei einem Ausdauertraining auf hohem Niveau (zum Beispiel 70 bis 80 km Joggen pro Woche). Das Herz vergrössert sich dabei homogen: Die Muskulatur hypertrophiert gleichmäs- sig – gleichzeitig nimmt das Kammervolumen zu. Diese Art der Herzver- grösserung ist physiologisch. Solche Merkmale helfen, ein (physiologisches) Sportlerherz von einer pathologischen Herzvergrösserung zu trennen. Es gilt: Physiologische Anpassungen des Herzens sind reversibel, pathologi- sche Anpassungen lassen sich zum Beispiel mit Antihypertensiva zumindest positiv beeinflussen. ANL wir etwas unternehmen, betonte Burnier, ausschlaggebend für die Entwicklung der Demenz waren die Jahre zuvor. Kognitive Funktion profitiert von antihypertensiver Behandlung Wenn die Hypertonie zu Hirnschäden führt, müsste eine antihypertensive Therapie das verhindern können. Burnier stellte dazu einen Reviewartikel aus dem Jahr 2013 vor (11): Ungeachtet der Therapiemethode hatte die antihypertensive Behandlung eine positive Wirkung auf die kognitiven Funktionen und einen schützenden Effekt hinsichtlich der Entwicklung von Demenzkrankheiten. Dazu passen Erkenntnisse von Deckers et al., die in einem aktuellen Review zur Demenzprävention besonders die gute Evidenz für die Behandlung einer Depression sowie die Therapie eines Bluthochdrucks bereits im mittleren Lebensalter betonen (12). Was lässt sich aus den Hinweisen ableiten? Ältere Patienten brauchen massgeschneiderte Leitlinien für eine optimale Hypertoniebehandlung. André Lauber Referenzen: 1. Mancia G et al. ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens 2013; 31: 1281–1357. 2. James PA et al. Evidence-based guideline for the management of high blood pressure in adults: report from the panel members appointed to the Eighth Joint National Committee (JNC 8). JAMA 2014; 311: 507–520. 3. Beckett NS et al. Treatment of hypertension in patients 80 years of age or older. N Engl J Med 2008; 358 (18): 1887–1898. 4. van Dijk EJ et al. The association between blood pressure, hypertension, and cerebral white matter lesions: cardiovascular determinants of dementia study. Hypertension 2004; 44: 625–630. 5. Klarenbeek P et al. Higher ambulatory blood pressure relates to new cerebral microbleeds: 2-year follow-up study in lacunar stroke patients. Stroke 2013; 44: 978–983. 6. Stamler J et al. Diabetes, other risk factors, and 12-yr cardiovascular mortality for men screened in the Multiple Risk Factor Intervention Trial. Diabetes Care 1993; 16: 434–444. 7. Prins ND et al. Cerebral white matter lesions and the risk of dementia. Arch Neurol 2004; 61: 1531–1534. 8. Skoog I et al. 15-year longitudinal study of blood pressure and dementia. Lancet 1996; 347: 1141–1145. 9. Matsumoto A et al. Day-to-day variability in home blood pressure is associated with cognitive decline: the Ohasama study. Hypertension 2014; 63: 1333–1338. 10. Zeki Al Hazzouri A et al. Pulse wave velocity and cognitive decline in elders: the Health, Aging, and Body Composition study. Stroke 2013; 44: 388–393. 11. Levi Marpillat N et al. Antihypertensive classes, cognitive decline and incidence of dementia: a network meta-analysis. J Hypertens. 2013; 31: 1073–1082. 12. Deckers K et al. Target risk factors for dementia prevention: a systematic review and Delphi consensus study on the evidence from observational studies. Int J Geriatr Psychiatry. 2015; 30 (3): 234-246. 13. Bangalore S et al. Fixed-dose combinations improve medication compliance: a meta-analysis. Am J Med 2007; 120: 713–719. 14. Oparil S et al. Triple therapy with olmesartan medoxomil, amlodipine besylate, and hydrochlorothiazide in adult patients with hypertension: The TRINITY multicenter, randomized, double-blind, 12-week, parallel-group study. Clin Ther 2010; 32: 1252–1269. Quelle: «Individualised Therapy of Hypertension for Young and Older Patients», Satellitensymposium der Firma Daiichi-Sankyo am Cardiology Update, 8. bis 12. Februar 2015 in Davos. 20 Kardiologie • Mai 2015