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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Onkologie
Brustkrebsveranlagung und Prognose im Ernstfall
© prudkov – Fotolia.com
Man nimmt an, dass etwa ein Viertel der Brustkrebsfälle in den entwickelten Län-
dern auf genetische Faktoren zurückzuführen sind. Doch haben junge Frauen mit genetisch erhöhtem Brustkrebsrisiko auch schlechtere Karten, wenn sie tatsächlich an dem Tumor erkranken? Nein, sagt ein Team an der Universität Southhamptom nach der Auswertung der POSH-Studie (prospective outcomes in sporadic versus hereditary breast cancer). Die Studie umfasst 2850 Frauen unter 41 Jahren. Die Autoren fanden keine statistisch signifikanten Unterschiede bezüglich des Rezidivrisikos nach der Behandlung für Patientinnen mit oder ohne «Brustkrebsgene». Junge Frauen, in deren Familie bereits mehrere Fälle von Brustkrebs vorkamen, haben im Erkrankungsfall offenbar keine schlechtere Prognose als vergleichbare Frauen ohne familiäre Vorbelastung.
Als Nächstes will das britische Forscherteam der Frage nachgehen, inwieweit bestimmte Gene das Ansprechen auf die Therapie beeinflussen. Beispielsweise legten Laborexperimente und Beobachtungen an Patientinnen nahe, dass Tumoren mit dem BRCA1-Gen empfindlicher gegenüber bestimmten Chemotherapeutika seien, so Studienleiterin Prof. Diana Eccles. RBOO
Eccles BK et al. on behalf of the POSH study steering group: Family history and outcome of young patients with breast cancer in the UK (POSH study). Brit J Surgery 2015; published online May 20, 2015.
Prävention
Acetylsalicylsäure kann Darmkrebsrisiko auch erhöhen
Man hat beobachtet, dass die regelmässige Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) und anderen nichtsteroidalen Entzündungshemmern (NSAID) mit einem verminderten Darmkrebsrisiko einhergeht. Trotzdem wird ASS nicht zur Prävention empfohlen, nicht zuletzt aufgrund der unklaren NutzenRisiko-Bilanz. Schliesslich steigert ein regelmässiger ASS-Gebrauch das Risiko für gastrointestinale Blutungen. Eine kürzlich publizierte Studie macht nun klar, dass nicht nur das Blutungsrisiko, sondern auch individuelle genetische Faktoren für die Nutzen-Risiko-Bilanz eine Rolle spielen. Personen mit einem bestimmten Genprofil senken ihr Darmkrebsrisiko keineswegs, wenn sie ASS einnehmen, sie steigern es sogar noch. Für ihre gross angelegte Studie griffen die Autoren auf Daten aus fünf Fallkontroll- und fünf Kohortenstudien zurück, die im Zeitraum von 1976 bis 2003 in den USA, Kanada, Australien und Deutschland durchgeführt worden waren. Insgesamt wurden die Daten von 8634 Patienten mit Kolorektalkarzinom und 8553 vergleichbaren Kontrollpersonen berücksichtigt. Alle Patienten und Kontrollpersonen waren genetisch betrachtet Europäer. Mithilfe von statistischen und das
gesamte Genom einbeziehenden Untersuchungsverfahren wurde nach Zusammenhängen zwischen ASS/NSAID-Gebrauch und Darmkrebsrisiko gefahndet. Dabei hatten die Forscher keine kompletten Gene, sondern kleine, lediglich in einem einzelnen Basenpaar bestehende genetische Variationen der DNS-Sequenz im Visier, die sogenannten SNP (single nucleotide polymorphism). In ihrer Publikation schildern sie nun drei SNP-Sequenzen, die offenbar je nach Variation einen beträchtlichen Einfluss auf das Darmkrebsrisiko unter ASS/NSAID haben. So sinkt das Darmkrebsrisiko mit ASS um etwa ein Drittel – eine Grössenordnung, die aus früheren Studien bereits bekannt ist – sofern man die häufige Variante des SNP rs2965667 hat (96% der Bevölkerung). Das Darmkrebsrisiko steigt mit ASS/NSAID aber um rund 10 Prozent, falls man Pech hat und zu den 4 Prozent der Bevölkerung mit der seltenen Variante gehört. Ähnliche Grössenordnungen fanden sich bei dem SNP rs10505806 sowie bei dem SNP rs16973225, wobei bei Letzterem die ungünstige Variante zwar kein erhöhtes Darmkrebsrisiko mit ASS bedeutete, das vermeintlich präventive Medikament aber praktisch keinen Nutzen hatte.
In absoluten Zahlen wird veranschaulicht,
wie bedeutend diese genetischen Faktoren
sind: Die drei günstigen Varianten der SNP
bedeuten, dass pro 100 000 Personen mit
ASS/NSAID rund 17 Darmkrebsfälle weni-
ger auftreten. Die drei ungünstigen Varian-
ten bedeuten, dass pro 100 000 Personen
mit dem Medikament zusätzlich 38 oder
21 Fälle auftreten werden beziehungsweise
dass es nur 1 Fall weniger sein dürfte
(rs16973225).
Neben neuen statistischen Erkenntnissen
liefert die Studie auch einen Hinweis darauf,
wie die Darmkrebsrisikominderung durch
ASS/NSAID funktionieren könnte. Die ge-
nannten SNP liegen nämlich in unmittelba-
rer Nähe der Gene entzündungsrelevanter
Faktoren wie MGST1 (mikrosomale Gluta-
thion-S-Transferase) oder Interleukin 16.
Möglicherweise läuft die Risikosenkung
über eine antientzündliche Wirkung der
Medikamente – sofern man den richtigen
Genotyp hat.
RBOO
Nan H et al.: Association of aspirin and NSAID use with risk of colorectal cancer according to genetic variants. JAMA 2015; 313(11): 1133–1142.
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ARS MEDICI 11 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Reisemedizin
Resistente Typhuserreger breiten sich aus
Einer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift «Nature Genetics» zufolge (1) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein multiresistenter Stamm von Abdominaltyphuserregern weltweit stark ausgebreitet. Die Untersuchung der Wissenschaftler lässt den Schluss zu, dass der Erreger andere Stämme verdrängt und auf verschiedene Antibiotika, die zur Behandlung der Erkrankung üblicherweise eingesetzt werden, nicht mehr anspricht. Für Reisende in Verbreitungsgebiete sind eine Impfung sowie eine sorgfältige Trinkwasser- und Lebensmittelhygiene deshalb umso wichtiger. Typhus und Paratyphus sind schwere Durchfallerkrankungen, die durch Salmonellen hervorgerufen werden und in weiten Teilen Asiens, Nordafrikas und Südamerikas auftreten (im Englischen «typhoid fever», im Englischen bedeutet «typhus» im Gegensatz zum deutschen Sprachgebrauch eine von Rickettsien verursachte Erkrankung). An dem weitverbreiteten Typhus abdominalis erkranken jedes Jahr weltweit etwa 22 Millionen Menschen, geschätzt sterben etwa 200 000 daran. An dem selteneren Paratyphus erkranken schätzungsweise 5,5 Millionen Menschen (2). Wer in Typhusverbreitungsgebiete reist, sollte sich impfen lassen. Dafür steht in der Schweiz eine Schluckimpfung zur Verfügung (Vivotif®),
bei der attenuierte Erreger eingenommen werden. In Impfzentren steht auch der in der Schweiz nicht registrierte Totimpfstoff Tymphim® Vi zur Verfügung, vor dessen Anwendung vom Arzt und Patienten eine Einverständniserklärung unterzeichnet werden muss (3). Beide Impfstoffe sind gut verträglich, die Impfung muss aber regelmässig aufgefrischt werden; ihre Schutzdauer beträgt ein bis drei Jahre. Eine Impfung kann allerdings nicht jede Infektion verhindern, ihre Schutzrate liegt zwischen 60 und 70 Prozent. Deshalb sind weitere präventive Massnahmen sinnvoll. Die Erreger werden über Nahrungsmittel übertragen. Trinkwasser sollte in Endemiegebieten deshalb immer abgefüllt gekauft werden. Auf Eiswürfel in Getränken, die oft aus Leitungswasser hergestellt werden, sollte man verzichten. Auch rohe oder nicht ausreichend erhitzte Speisen wie Salate, Meeresfrüchte, ungeschältes Obst oder Säfte können mit den Erregern kontaminiert sein (2). RBO/CRMO
1. Wong et al.: Phylogeographical analysis of the dominant multidrugresistant H58 clade of Salmonella typhi identifies inter- and intracontinental transmission events. Nature Genetics 2015; 47(6): 632-639.
2. Pressemitteilung des CRM (Centrum für Reisemedizin, Thieme Verlagsgruppe) vom 18. Mai 2015.
3. De Crom-Beer, Hatz C: Reiseimpfungen für Kinder. PÄDIATRIE 2015; 2: 4–8.
Gastroenterologie
Adipositas nach Stuhlübertragung
Wegen einer rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektion erhielt eine Patientin Stuhl ihrer übergewichtigen Tochter übertragen. Sie wurde von der Infektionserkrankung geheilt, nahm in der Folgezeit aber stark an Gewicht zu. Wenn ein Zusammenhang auch nicht bewiesen ist, so empfehlen die Autoren dennoch, nur Stuhl von nicht übergewichtigen, gesunden Personen zu transplantieren. Die 32-jährige Frau, die bis zu diesem Zeitpunkt stets das gleiche Gewicht von 61 kg hatte (BMI 26), wog 17 Monate später 77 kg (BMI 33). Trotz medizinisch überwachter flüssiger Proteinnahrung mit einem Programm körperlicher Aktivität betrug es drei Jahre nach Stuhltransplantation 80 kg (BMI 34,5). Auf diesem Gewicht verblieb sie auch in der
Folgezeit. Ihre Tochter nahm in dieser Zeit auch von 70 auf 85 kg zu. Ähnliche Fallberichte sind bekannt. Tierexperimentell war schon früher gezeigt worden, dass nach Stuhlübertragung von übergewichtigen auf normalgewichtige Tiere deren Fettmasse zunahm. Ob der Gewichtszuwachs bei der Patientin durch die Transplantation des Stuhls der übergewichtigen Tochter verursacht wurde, ist unklar. Als mögliche (Mit-)Ursachen sind die Heilung von der Clostridium-difficile-Infektion, der Wegfall des Krankheitsstresses, genetische Faktoren und die Zunahme des Lebensalters zu bedenken. Helmut Schatz, DGEO
Alang N et al.: Weight gain after fecal microbiota transplantation. Open Forum Infectious Diseases 2015; 2(1): doi: 10.1093/ofid/ofv004.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Sozialhormon Oxytocin
Der Wirtschaftsfachmann Michael Kosfeld und ein Team an der Universität Zürich publizieren in der Zeitschrift «Nature», dass das wehenfördernde und den Milchfluss stimulierende Hormon Oxytocin offenbar auch im zwischenmenschlichen Verhalten Erwachsener ein Rolle spielt. In einem Experiment sollte eine Person an eine andere via Computer Geld überweisen, ohne Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Der Betrag wurde vom Studienleiter verdreifacht, anschliessend konnte der Empfänger so viel davon an den Geber zurückgeben, wie er wollte. Gab er die Hälfte zurück, hatten beide am Ende mehr als zuvor, gab er nichts zurück, profitierte nur der Empfänger vom Vertrauen des Gebers. Geber, die zuvor Oxytocinnasenspray applizierten, überwiesen dem Empfänger höhere Beträge – das Oxytocin machte sie demnach vertrauensvoller. Der Oxytocineffekt trat aber nicht ein, wenn der Geber wusste, dass am anderen Ende der Leitung kein Mensch, sondern nur ein Computer sass, der auf die gleiche Rückzahlungswahrscheinlichkeit wie ein Mensch programmiert war.
Vor 50 Jahren
Hormontherapie
Nutzen und Risiken der Östrogensubstitution zur Linderung von Wechseljahrbeschwerden werden heftig diskutiert. Dabei steht weniger das Krebsrisiko, sondern die Gefahr postmenopausaler Blutungen im Mittelpunkt. Östrogen-Testosteron-Kombinationen werden als Ausweg empfohlen.
Vor 100 Jahren
Mutagene Chemikalien
Im «British Medical Journal» vom 5. Juni 1915
erläutert man ausführlich, was bei Ampu-
tationen von Gliedmassen zu beachten ist.
Leider sei eine entsprechende Fortbildung
dringend nötig, schreibt Autor P. Lockhart-
Mummery. Dank verbesserter Hygiene war
die Notwendigkeit von Amputationen, etwa
aufgrund von Unfällen, stark zurückgegan-
gen, und nur noch wenige Chirurgen be-
herrschten diesen Eingriff. Nach Ausbruch
des Ersten Weltkriegs aber schnellt die
Anzahl der Opfer, bei denen eine Amputation
unvermeidlich ist, steil nach oben.
RBO
ARS MEDICI 11 I 2015