Transkript
BERICHT
Behandeln Chirurgen künftig den Typ-2-Diabetiker?
Antidiabetische Wirksamkeit der bariatrischen Chirurgie
Auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung rektomie (SG) ein Jahr nach Randomi-
«Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos» wurde die bariatrische Operation als wichtige Therapieoption für adipöse Typ-2-Dia-
sierung zu besseren Resultaten als eine intensive konventionelle Diabetestherapie (3). Primärer Endpunkt der Stu-
betiker bezeichnet, auch wenn der unmittelbare Erfolg, die Remission des die war der Anteil an Patienten, der
Diabetes, nicht unbedingt von Dauer ist.
12 Monate nach Behandlungsbeginn einen HbA1c-Spiegel von 6 Prozent
Claudia Borchard-Tuch
oder niedriger aufwies. Nach 12 Monaten wurde der primäre Endpunkt
von 12 Prozent der Patienten nach me-
dizinischer Therapie, 42 Prozent der
«Wer hätte das gedacht?», begann Pro- Ist die bariatrische Chirurgie
Magenbypass-Patienten und 37 Pro-
fessor Dr. med. Thomas P. Hüttl, Mün- der konventionellen Therapie
zent der SG-Patienten erreicht. Auch
chen, seinen Vortrag: «Neunzig Jahre überlegen?
der durch die operativen Verfahren er-
nach Entdeckung des Insulins beginnen Zwei aktuelle, prospektive randomi- zielte Gewichtsverlust (Magenbypass:
wir Chirurgen, unsere internistischen siert-kontrollierte Studien zeigten, dass -29 kg, SG: -25 kg) war höher als nach
Kollegen bei der Diabetesbehandlung bariatrische Operationsverfahren bei konservativer Therapie (-5 kg). Die Ein-
wirksam zu unterstützen.» Die bariat- der Behandlung von krankhaft überge- nahme antidiabetischer Medikamente
rische Chirurgie gewinnt in letzter Zeit wichtigen Patienten mit Typ-2-Diabe- konnte nach beiden Operationen ebenso
zunehmend an Bedeutung als poten- tes der konventionellen medizinischen reduziert werden wie die Einnahme
ziell nützliche Therapie des Typ-2-Dia- Therapie überlegen sind (2, 3).
von lipid- und blutdrucksenkenden
betes. Mehrere Beobachtungs- und ran-
domisiert-kontrollierte Studien haben
gezeigt, dass bariatrische Eingriffe wie Roux-en-Y-Magenbypass (RYGB), Sleeve-Gastrektomie (SG), Magenband
«Die positiven Effekte adipositas-chirurgischer Verfahren auf das metabolische Syndrom sind deutlich erkennbar.»
und biliopankreatische Diversion (BPD)
die glykämische Kontrolle verbessern
können (1).
In der 2012 publizierten Studie von Medikamenten, bei gleichzeitigem An-
Geltrude Mingrone et al. kam man zu stieg des Arzneimittelverbrauchs in der
MERKSÄTZE
dem Ergebnis, dass zwei Jahre nach nicht chirurgisch therapierten Gruppe. dem Eingriff bei 75 Prozent der Patien- Beide Publikationen belegen mit hoher
O Die bariatrische Chirurgie ist eine effektive Therapieoption für adipöse Typ-2-Diabetiker.
ten, die einen Roux-en-Y-Magenbypass erhalten hatten, und bei 95 Prozent der Patienten, bei denen eine biliopankreatische Diversion durchgeführt
Evidenz, dass metabolisch-chirurgische Verfahren (RYGB, BPD und SG) der konventionellen medizinischen Therapie in der Kontrolle des Typ-2-Diabetes
O Aktuelle Studien zeigen, dass bariat-
worden war, eine vollständige Remis- mellitus überlegen sind.
rische Operationsverfahren den kon-
sion des Diabetes mellitus eintrat (keine «Ob die metabolische Chirurgie für
servativen Behandlungsmöglichkeiten
antidiabetische Medikation, Norma- jeden adipösen Patienten mit Typ-2-
bei der Behandlung adipöser Typ-2-
lisierung HbA1c, Nüchternblutzucker Diabetes geeignet ist, lässt sich mit den
Diabetiker überlegen sein können.
< 100 mg/dl). Dies war bei keinem ein- beiden Studien allerdings nicht sicher O Der unmittelbare Erfolg einer bariatrischen Operation, die Remission des Diabetes mellitus, ist häufig nicht von Dauer. zigen der 20 konservativ behandelten Patienten der Fall (2). In der Studie STAMPEDE (Surgical Treatment and Medications Potentially Eradicate Diabetes Efficiently) führten beantworten», so Hüttl. Dazu seien die Patientenzahlen zu klein und die Beobachtungszeiträume zu kurz. Nicht jeder Patient mit Übergewicht und Typ-2-Diabetes scheint in gleicher der Magenbypass und die Sleeve-Gast- Weise auf metabolische Verfahren 516 ARS MEDICI 10 I 2015 BERICHT anzusprechen. Schwere und Dauer der Erkrankung beeinflussten den Erfolg der bariatrischen Operation wahrscheinlich negativ, sagte Hüttl. Auch sei noch nicht geklärt, ob die metabolische Chirurgie neben einer verbesserten Blutzuckerregulation auch die Inzidenz diabetischer Komplikationen wie Mikro- und Makroangiopathien oder diabetische Retinopathie und Nephropathie senken kann. Über den Langzeitverlauf der mittels bariatrischer Chirurgie verbesserten Blutzuckerregulation ist noch wenig bekannt. Eine an der Pressekonferenz nicht erwähnte retrospektive Kohortenstudie mit 4434 übergewichtigen Typ-2-Diabetes-Patienten ergab, dass der Erfolg der bariatrischen Chirurgie häufig nicht von Dauer ist. Die Patienten hatten sich einer Roux-en-YMagenbypass-Operation unterzogen. Bei 68 Prozent der Operierten war es zu einer kompletten Diabetesremission gekommen. Bei etwa einem Drittel dieser Patienten trat der Diabetes jedoch innerhalb von 5 Jahren wieder auf (4). Bariatrische Chirurgie als Diabetesprävention Die Studie SOS (Swedish Obese Subjects) belegte eine nachhaltige LangzeitDiabetes-Prävention nach bariatrischer Chirurgie. So entwickelten innerhalb von 15 Jahren 22 Prozent von 1771 konservativ behandelten morbid-adipösen Patienten einen Typ-2-Diabetes, aber nur 6,6 Prozent in der operierten Gruppe (n = 1658). Die postoperative Letalität betrug 0,2 Prozent, die Rate an Reoperationen 2,8 Prozent (5). Soll der Diabetiker zum Chirurgen gehen? Auch wenn der Diabetes in vielen Fällen zurückkam, profitierten Operierte dennoch. In einer aktuellen Auswertung, welche die Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (Herzinfarkt und Schlaganfall) über einen Zeitraum von 20 Jahren analysierte, zeigte sich eine statistisch signifikante Risikoreduktion um 37 Prozent bei den bariatrisch Operierten (6). «Die positiven Effekte adipositas-chirurgischer Verfahren auf das metaboli- sche Syndrom sind deutlich erkennbar», fasste Hüttl zusammen. Aufgrund der hohen Evidenz der vorhandenen Daten müsse die chirurgische Therapie im Rahmen einer personalisierten Medizin adipösen Typ-2-Diabetikern früher als bisher angeboten werden. O Claudia Borchard-Tuch Quelle: Dr. med. Thomas P. Hüttl, München: «Hilft metabolische Chirurgie dem Typ-2-Diabetiker?», Pressekonferenz im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetes grenzenlos», München, 27. Februar 2015. Literatur: 1. Pavlicek V: Bariatrische Eingriffe wirkungsvoll in der Typ-2-Diabetes-Behandlung. Diabetologe 2014; 10: 323–324. 2. Mingrone G et al.: Bariatric surgery versus conventional medical therapy for type 2 diabetes. N Engl J Med 2012; 366(17): 1577–1585. 3. Schauer PR et al.: Bariatric surgery versus intensive medical therapy in obese patients with diabetes. N Engl J Med 2012; 366(17): 1567–1576. 4. Arterburn DE et al.: A multisite study of long-term remission and relapse of type 2 diabetes mellitus following gastric bypass. Obes Surg 2013; 23(1): 93–102. 5. Carlsson LM et al.: Bariatric surgery and prevention of type 2 diabetes in Swedish obese subjects. N Engl J Med 2012; 367(8): 695–704. 6. Romeo S et al.: Cardiovascular events after bariatric surgery in obese subjects with type 2 diabetes. Diabetes Care 2012; 35(12): 2613–2617.