Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
So Sie dies lesen – bedenken Sie (und freuen Sie sich): Lesen stellt eine Gefahr für die Dummheit dar.
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Man misstraut den Alten. Damit sind alle über 65 gemeint. Oder allenfalls 70 plus. Angeblich verursachen Autofahrer über 70 mehr Unfälle als andere Altersgruppen. Merkwürdig, das war früher nicht so. Aber Fahrstunden für Pensionierte, regelmässige medizinische Tests und jede Menge Formulare zum Ausfüllen versprechen Arbeit und Auskommen für Jüngere. Warum also nicht? Bei all dem übrigen überflüssigen Kontrollieren fällt das nicht ins Gewicht.
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Aber nicht nur Autofahrer geraten ins Visier der besorgten Mitmenschen. Nationalrätin Margrit Kessler findet, auch Ärzte, vor allem Chirurgen, seien ab einem gewissen Alter ein potenzielles Risiko für ihre Patienten. Sie fragt den Bundesrat deshalb in einer Interpellation unter anderem, bis zu welchem Alter das «selbstständige Führen von Operationen grundsätzlich möglich sein sollte». Eine gute Frage. Wirklich? Oder eher eine sinnlose? Anders gesagt: lieber einen erfahrenen 80-jährigen Operateur mit ruhiger Hand und guter Brille als einen jüngeren Kollegen ohne Erfahrung und dafür mit etwas zu viel Selbstvertrauen.
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Die politischen Slogans verfolgen einen bis ins Auto. Die etwas farblose Frauenstimme hinter dem Display mit der Landkarte (Navi genannt) meldet sich immer wieder mit dem Satz: «Bitte wenden!» Wirklich, so plumpe Werbung für Frau Leuthards Energiepolitik hätte man TomTom und Garmin nicht
zugetraut. Aber warum nicht, wenn die Solarzellen-Lobby die Navi-Giganten gut schmiert … OOO
Swissness – ein interessanter Begriff. Man meint, man wisse, was er bedeutet, aber man weiss es nicht. Ist «Bündnerfleisch», bei dem die Hauptzutat – Rindfleisch – aus Argentinien stammt, das in Schweizer Luft getrocknet wurde, nun ein Schweizer Produkt oder nicht? Und wie ist das mit Paprikachips, die zwar in der Schweiz hergestellt werden, allerdings aus dänischen Kartoffeln und mit Paprika aus Ungarn? Ein schwieriger Entscheid? In der Tat, wenn man die Sache todernst nimmt, dann ist der lukrative Dauerstreit für Fachleute und Juristen gewiss. Dabei sind das noch die einfacheren Probleme. Tragen Sie eine Schweizer Uhr? Sind Sie sicher? Falls sie aus Gold ist – das Gold kommt aus Australien, die Stahlteile kommen aus Frankreich, der Uhrmacher ist Deutscher, die Uhrenfabrik in den Händen von Engländern. Swissness – vielleicht gut gemeint, aber leider ein bürokratisches Monster, das mehr Schaden anrichtet und vor allem mehr Aufwand erfordert, als dass es Nutzen stiftet.
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Noch schwieriger wird es, Swissness zu beweisen, wenn es nicht um physische, sondern um virtuelle Produkte geht, etwa um Dienstleistungen wie beispielsweise Medizin. Gibt es überhaupt eine Schweizer Medizin? Und wenn ja, woran erkennt man sie? (Immerhin ist Schweizer Medizin durchaus ein Exportprodukt; es kommen relativ viele betuchte Ausländer zur medizinischen Behandlung in die Schweiz. Irgendetwas muss also besser sein oder scheinen an der hiesigen Medizin.) Ist nur die Ausbildung des Arztes und der Pflegekraft hierfür ausschlaggebend? Oder der Arbeitsort? Oder sind es die
von Schweizer Fachgesellschaften und Behörden vorgegebenen und kontrollierten Qualitätsnormen? Ist es bloss die luxuriöse und auf höchstem technischem Niveau gehaltene Infrastruktur? Ist es eine «innere Haltung» der Arbeit gegenüber? Oder alles zusammen?
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Eigentlich würde – in praxi – folgende Definition genügen: Schweizerisch ist ein Produkt genau dann, wenn die Mehrheit der Konsumenten findet, es sei schweizerisch. Lässt man Juristen darüber diskutieren oder gar entscheiden, was Swissness bedeutet, wird’s garantiert nicht besser, sondern chaotisch, bestimmt nicht gerechter, nur ganz sicher teuer.
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Holterdiepolter – manche Sätze (von Politikern?) behalten auch nach mehrmaligem Lesen ihren mysteriösen Charme. Etwa folgende Anmerkung, die völlig unabhängig vom Kontext, in dem sie gemacht wurde, unstreitig zwar nicht falsch, aber auch nicht wirklich sinnhaft ist: «Es braucht mehr Menschen in der Politik, welche nicht als politische Trittbrettfahrer dem Zugpferd am Ende das Wasser abgraben.» (Aber sicher doch *?°!?)
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Herr Grunder: «Die Schweiz sollte sofort 50000 Flüchtlinge aufnehmen.» Wie verzweifelt muss jemand sein, um es mit solch pseudohumanistischer Wahlpropaganda zu versuchen? Wenigstens wird auch plumpe Heuchelei die EinPersonen-Partei BDP nicht vor der Bedeutungslosigkeit retten.
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Und das meint Walti: Zucker ist ein weisser Stoff, der dem Kaffee einen schlechten Geschmack gibt, wenn man vergisst, ihn reinzutun …
Richard Altorfer
ARS MEDICI 9 I 2015
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