Transkript
STUDIE REFERIERT
Phytotherapeutika gegen Rückenschmerzen
Ein Cochrane-Review
Bei Rückenschmerzen bevorzugen viele Patienten pflanzliche Heilmittel. Aus einem Cochrane-Review geht hervor, dass mindestens vier Phytotherapeutika mit einer besseren Schmerzlinderung im Vergleich zu Plazebo verbunden sind, und zwei orale Präparate erwiesen sich als ebenso wirksam wie Rofecoxib. Die Ergebnisse sollten jedoch aufgrund der sehr niedrigen bis moderaten Evidenzqualität vorsichtig interpretiert werden.
Cochrane Database Systematic Reviews
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Alltagsbeschwerden. Innerhalb eines Monats sind etwa 35 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Die Prävalenz ist im Alter zwischen 45 und 64 Jahren am höchsten. Unspezifische Rückenschmerzen werden als Schmerzen zwischen dem unteren Rippenbogen und der Glutäalfalte definiert, die nicht durch Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Infektionen, Frakturen, Krebserkrankungen oder Ischias verursacht werden. Die grossen Unterschiede im Management von Rückenschmerzen weisen auf eine erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf die optimale Behandlung hin.
MERKSÄTZE
O Zur topischen Behandlung akuter Rückenschmerzen eignen sich Salben mit Beinwellwurzelextrakt.
O Bei chronischen Rückenschmerzen sind capsaicinhaltige Salben oder Pflaster von Nutzen.
O Orale Teufelskrallenpräparate (60 mg Harpagosid) sind zur Schmerzlinderung vermutlich ebenso wirksam wie Rofecoxib.
O Die Wirksamkeit oraler Weidenrindenpräparate (240 mg Salicin) ist wahrscheinlich ebenfalls mit derjenigen von Rofecoxib vergleichbar.
In einigen Richtlinien werden Rückenschule, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID), die McKenzie-Methode, Nadelakupunktur, Chiropraktik und Triggerpunktinjektionen als geeignete Interventionen aufgeführt. In einer Zusammenfassung europäischer Richtlinien empfehlen die Experten kognitive Verhaltenstherapie, betreutes Training, eine biospychosoziale Behandlung sowie die kurzfristige Anwendung von NSAID oder schwachen Opioiden. laut Studien entscheiden sich 16,8 bis 57,2 Prozent der Rückenschmerzpatienten aber auch für alternative oder komplementäre Therapieoptionen wie pflanzliche Heilmittel. Zur Behandlung von Rückenschmerzen stehen zahlreiche Phytotherapeutika zur Verfügung. Mittlerweile wurden die pharmakologischen und physiologischen Eigenschaften vieler Pflanzen und ihrer Inhaltsstoffe erforscht. So ist bekannt, dass die schmerzlindernde Wirkung von Capsium frutescens teilweise auf der Depletion von Substanz P beruht – einem Neurotransmitter der Schmerzleitung. Salix alba weist neben plättchenaggregationshemmenden auch analgetische Eigenschaften auf, und Harpagophytum procumbens wirkt sowohl analgetisch als auch entzündungshemmend.
Cochrane-Review
In einem Cochrane-Review zu Publikationen bis August 2013 wurde die Wirksamkeit oraler oder topischer Phytothe-
rapeutika bei unspezifischen Rückenschmerzen im Vergleich zu Plazebo und zu anderen Medikamenten evaluiert. Die Experten schlossen 14 randomisierte kontrollierte Studien mit 2050 Patienten ab 18 Jahren in ihre Untersuchung ein. Die Patienten litten an akuten (bis zu 6 Wochen), subakuten (6 bis 12 Wochen) oder chronischen (länger als 12 Wochen) unspezifischen Rückenschmerzen. Das Durchschnittsalter lag bei 52 Jahren, und die durchschnittliche Studiendauer betrug drei Wochen. Zur Erfassung der Schmerzen diente in den Studien meist eine visuell analoge Skala (VAS) oder der Arhus-Index.
Harpagophytum procumbens –
Teufelskralle
In zwei Studien mit 315 Teilnehmern war die tägliche Einnahme eines oralen Teufelskrallenpräparats mit einer standardisierten Harpagosiddosis von 50 mg oder 100 mg in einem Untersuchungszeitraum von vier Wochen mit einer signifikant besseren Schmerzlinderung verbunden als Plazebo. Zudem konnte mit einer Tagesdosis von 50 mg Harpagosid die Häufigkeit der Einnahme von Tramadol (Tramal® und Generika) als Notfallmedikation reduziert werden. Der Unterschied bezüglich der Notfallapplikation erreichte jedoch keine statistische Relevanz. In einer anderen Studie mit 88 Patienten war eine Dosis von 60 mg Harpagosid/Tag bei akuten Episoden chronischer Rückenschmerzen etwa ebenso wirksam wie Rofecoxib (Vioxx®, wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen) in einer Dosierung von 12,5 mg/Tag.
Salix alba – Silberweide
Ein orales Weidenrindenpräparat mit 120 mg oder 240 mg Salicin erwies sich in zwei Studien mit 261 Patienten bei einmal täglicher Einnahme zur Schmerzlinderung akuter Episoden chronischer Rückenschmerzen als wirksamer im Vergleich zu Plazebo. Auch mit diesem Phytotherapeutikum konnte die Notfallmedikation mit Tramadol reduziert werden. In den Studien zeigte sich ein dosisabhängiger Effekt – 240 mg Salicin/Tag waren signifikant wirksamer als 120 mg/Tag. Als unerwünschtes Ereignis wurde eine allergische Reaktion gegenüber dem Salix-alba-Extrakt beobachtet.
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STUDIE REFERIERT
Phytotherapeutika und Handelspräparate
Orale Applikation O Harpagophytum procumbens
(z.B. A.Vogel® Rheuma-Tabletten, Harpagomed®, Harpagophyt-Mepha®, Sanaflex®)
O Salix alba (z.B. Assalix®, Salicum®)
Topische Applikation O Capsium frutescens
– Salbe mit 0,025% oder 0,075% Capsaicin über Magistralrezeptur
– Rado-Salil®-Salbe (Salicylate, Salicylsäure und Capsaicin)
– Pflaster (Qutenza®)
O Symphytum officinale (z.B. Kytta®-Schmerzsalbe)
O Solidago chilensis Meyen (nicht im AK der Schweiz)
O ätherisches Lavendelöl
Aus einer weiteren Studie mit 228 Patienten ging hervor, dass die Tagesdosis von 240 mg Salicin etwa ebenso wirksam ist wie Rofecoxib (12,5 mg/Tag).
Capsium frutescens – Cayennepfeffer Mit capsaicinhaltiger Salbe oder einem Capsaicinpflaster wurde in drei Studien mit 755 Teilnehmern bei chronischen Rückenschmerzen eine signifikant ausgeprägtere Schmerzlinderung erzielt als mit Plazebo. Bei akuten Rückenschmerzen war Rado-Salil®-Salbe in einer kleinen Studie mit 40 Teilnehmern in einem Zeitraum von 14 Tagen signifikant wirksamer als Plazebo. Als Nebenwirkungen wurden unter Rado-Salil® lokale Hautrötungen und Brennen beobachtet. In einer anderen Studie mit 161 Teilnehmern war ein Capsaicinpflaster etwa ebenso wirksam wie das homöopathische Gel Spiroflor® SLR
Symphytum officinale – Beinwell Die dreimal tägliche Applikation von Kytta®-Schmerzsalbe (Beinwellwurzelextrakt) war in einer Studie mit 120 Teilnehmern zur Linderung akuter Rückenschmerzen signifikant wirksamer im Vergleich zu Plazebo.
Solidago chilensis Meyen – Goldrute Die Wirksamkeit eines Gels mit Extrakten aus Solidago chilensis Meyen wurde in einer kleinen Studie mit 20 Rückenschmerzpatienten untersucht. Das Gel reduzierte die subjektive Schmerzempfindung bei zweimal täglicher Applikation ausgeprägter als Plazebo und verbesserte zudem die Beweglichkeit. In der Studiendokumentation wurde jedoch nicht erläutert, ob es sich um chronische oder akute Rückenschmerzen handelte.
Ätherisches Lavendelöl In einer Studie mit 61 Teilnehmern linderte eine Akupressurmassage mit ätherischem Lavendelöl die Schmerzen und verbesserte die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Vergleich zu einer nicht erläuterten «konventionellen Behandlung».
Qualität der Evidenz Die Cochrane-Experten beurteilten die Evidenzqualität der meisten Studien als sehr niedrig oder niedrig. Eine moderate Evidenz war nur im Zusammenhang mit capsaicin- und salicinhaltigen Präparaten erkennbar. Ausserdem wurde in den Studien lediglich die kurzfristige Anwendung über maximal sechs Wochen untersucht, sodass keine Daten zur langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate vorliegen. In 8 Studien könnten Interessenkonflikte der Autoren zu Verzerrungen geführt haben, und 4 weitere Autoren gaben dazu keine Auskunft.
Diskussion
Aus den Studienergebnissen geht hervor, dass mindestens vier Phytotherapeutika bei kurzfristiger Anwendung zur Linderung akuter unspezifischer Rückenschmerzen und zur Verbesserung der Beweglichkeit von Nutzen sind. Die Datenlage reicht nach Ansicht der Cochrane-Experten jedoch nicht aus, um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit im Vergleich zu Standardmedikamenten zu ziehen. Da Rofecoxib aufgrund schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde, sind weitere Studien zum Vergleich mit erhältlichen Analgetika wie NSAID oder Paracetamol (Panadol® und Generika) erforderlich. Die Heterogenität der pflanzlichen Präparate stellt nach Ansicht der Experten eine Herausforderung bei der Beurteilung der Wirksamkeit und der Sicherheit dar. Die meisten Phytotherapeutika werden in verschiedenen Darreichungsformen und Rezepturen angeboten, sodass die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Inhaltsstoffe variiert. Diese Unterschiede beeinflussen die Pharmakokinetik und somit auch die relative Wirksamkeit. Abschliessend bemängeln die Autoren die oft unzureichende Dokumentation randomisierter, kontrollierter Studien zu Phytotherapeutika. In einigen Studien war nicht einmal die Hälfte der in der Checkliste CONSORT (Consolidated Standards of Reporting Trials) geforderten Informationen vorhanden.
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Petra Stölting
Oltean H et al: Herbal medicine for low-back pain (Review). Cochrane Database Syst Rev 2014; 12: CD004504.
Interessenkonflikte: Einer der sechs Autoren hat als Wissenschaftler für ein Unternehmen gearbeitet, das im Cochrane-Review besprochene Inhaltsstoffe herstellte und verkaufte.
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