Transkript
BERICHT
Steroidtherapie führt oft zu diabetischer Entgleisung
Was bei Diabetikern mit rheumatischen Erkrankungen zu beachten ist
Durch die häufig notwendige Steroidtherapie bei rheumatischen Erkrankungen kann sich ein Diabetes verschlechtern oder überhaupt erst manifest werden. Prof. Dr. med. Peter Diem, Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Inselspital Bern, gab einen Einblick in die Interaktionen zwischen Diabetes und Rheuma.
Uwe Beise
Bei Patienten mit Diabetes treten offenbar eine Reihe von rheumatologischen Erkrankungen gehäuft auf (Kasten). Allerdings sei diese Koinzidenz nicht in allen Fällen durch Studien hoher Qualität belegt, sagte Diem. Das gilt etwa für degenerative Gelenkerkrankungen, wo die einschlägigen Untersuchungen «nicht gut genug für Alter und Adipositas kontrolliert sind». Diem machte besonders auf die diabetische Amyotrophie aufmerksam, die zwar relativ selten vorkomme, dann
Kasten:
Rheumatologische Erkrankungen bei Diabetes mellitus
O Arthrose O Karpaltunnelsyndrom* O Osteoporose O diffuse idiopathische skelettale Hyperostose
(DISH) O kristallinduzierte Arthritis (Gicht, CPPD) O Charcot-Arthropathie* O Tendinopathien O adhäsive Kapsulitis (Schulter-Hand-Syn-
drom)* O limited joint mobility (Cheiroarthropathie)* O Dupuytren-Kontraktur* O Flexor-Tenosynovitis
*gehäuftes Vorkommen bei Diabetes durch gute Studien gesichert
aber häufig nicht erkannt werde. Von dem Krankheitsbild sind überwiegend ältere Männer betroffen, die zunächst dadurch auffallen, dass sie zunehmend kachektisch werden, weshalb man dann üblicherweise nach einem Krebsleiden sucht. Die Patienten werden zunehmend immobil, können nicht mehr gehen, sind schliesslich mitunter auf den Rollstuhl angewiesen. Die diabetische Amyotrophie betrifft vornehmlich Beckengürtel und Oberschenkel. Sie beginnt meist einseitig und greift später auf die andere Körperhälfte über. Die Muskulatur des Unterschenkels ist zunächst noch weitgehend verschont. Für die diabetische Amyotrophie steht zwar keine spezifische Therapie zur Verfügung, allerdings lässt sich das Krankheitsbild durch eine (intensivierte) Insulintherapie und i.v.-Gabe von Immunglobulinen in ihrem Verlauf günstig beeinflussen. Patienten können dann durchaus wieder ohne Rollstuhl auskommen, auch wenn ihr Gang ataktisch bleibt.
MIDD – Diabetessubtyp mit
Schwerhörigkeit und Myopathie
Eine seltene Diabetesform ist der Maternally inherited diabetes and deafness, kurz MIDD genannt, unter dem etwa 1 Prozent der Diabetiker leidet. Die Erkrankung zeichnet sich durch einen progressiven Betazellverlust (bei normaler Insulinsensitivität) aus, der
oft bereits in jungem Erwachsenenalter beginnt und die Patienten im Laufe der Zeit nicht selten insulinpflichtig werden lässt. Das Besondere ist, dass die Betroffenen eine progrediente Schallempfindungs-Schwerhörigkeit vornehmlich im Hochtonbereich entwickeln, deren Ausprägung je nach Fall verschieden ist. Zum Krankheitsbild können auch eine Myopathie mit Muskelschmerzen sowie neurologische Symptome gehören. An der Netzhaut tritt eine krankheitsspezifische fleckförmige Dystrophie auf. Der Erkrankung, die ausschliesslich von der Mutter auf ihre Kinder übertragen wird, liegt eine Punktmutation in einem mitochondrialen Gen zugrunde. Es ist wichtig, diese Diabetesform zu diagnostizieren, da die Behandlung sich etwas von der üblichen Diabetestherapie unterscheidet. So wird beispielsweise Metformin bei MIDDMPatienten nicht empfohlen.
Steroiddiabetes entwickelt sich
in wenigen Tagen
Ein wichtiger Nebeneffekt der Kortikosteroide, die bei rheumatologischen Erkrankungen oft notwendig werden, ist der Einfluss auf den Blutzucker. Durch Steroide wird die Glukoseaufnahme in die Muskulatur reduziert, da Glukosetransporter in geringerer Zahl exprimiert werden, zudem werden Glukoneogenese und Lipolyse stimuliert, was zu Hyperglykämie und einem Anstieg der freien Fettsäuren führt. Steroide können auch, wenngleich geringfügig, die Insulinsekretion hemmen. Die Insulinresistenz verschlechtert sich nach Therapiebeginn sehr rasch. Die Veränderung beginnt bereits am Tag der Steroidapplikation. Die volle Ausprägung wird aber laut Diem meist erst etwa am 5. Tag erreicht, nachdem durch die Lipolyse mit Anstieg der
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ARS MEDICI 6 I 2015
BERICHT
• kurz wirksames Insulin zu den Mahlzeiten • Basisinsulin über Nacht bei Bedarf
m m m ❖ Insulinbedarf ■ kurz wirksames Insulin ■ lang wirksames Insulin
Insulinspiegel
7.00 13.00
19.00 23.00 3.00 7.00 Uhrzeit
Schematische Darstellung
Abbildung: Steroiddiabetes: Insulintherapie bei erhöhten Blutzuckerwerten nach dem Essen (Quelle Diem)
freien Fettsäuren eine zusätzliche Insulinresistenz entstanden ist, die durch die erhöhten Blutzuckerwerte weiter verschärft wird. Steroide erschweren damit die Behandlung eines bestehenden Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, sie können aber auch überhaupt erst zur Manifestation eines Diabetes führen. Diem erinnerte daran, dass bei einzelnen Typ-1-Diabetikern noch nach mehr als 10 Jahren relevante Konzentrationen des C-Peptids gemessen werden können, also noch eine gewisse Insulinsekretionsfähigkeit besteht. Nach 5 Jahren besteht noch eine Restsekretion bei immerhin etwa 15 Prozent der Diabetiker. «Wenn Prednison verabreicht wird, reagieren diese Patienten anders als solche, die über keine Eigensekretion mehr verfügen», erklärte Diem. Bei Typ-2-Diabetikern nimmt die Insulinsensitivität kontinuierlich ab. Wird nun die bereits verringerte Insulinsensitivität beispielsweise durch Prednison halbiert, bedeutet dies, dass für die gleiche Wirkung doppelt so viel Insulin benötigt wird. Das kann dann nur durch exogen zugeführtes Insulin gewährleistet werden. «Wenn wir höher dosierte Steroide einsetzen, also mindestens 40 mg Prednison, kommt es bei der Hälfte der Patienten zu einer Entgleisung der Stoffwechsellage mit Werten über 11,1 mmol/l», sagte Diem. Das gilt für Patienten mit und ohne vorbestehenden Diabetes, bei den Erstgenannten noch etwas ausgeprägter. Für die Therapie sind die Pharmakokinetik und -dynamik der Steroide zu beachten. Diem zeigte dies am Beispiel zweier Steroide: So erreicht beispielsweise Prednison seine maximale Wirkung nach 4 bis 8 Stunden, die Wirk-
dauer beträgt etwa 12 bis 16 Stunden. Dexamethason hingegen erreicht nach 6 bis 8 Stunden sein Wirkmaximum, und die Wirkung hält 36 bis 72 Stunden an. Mit anderen Worten: Prednison, morgens eingenommen, zeigt nachts wenig Wirkung auf die Insulinresistenz. Bei Dexamethason dagegen ist sie rund um die Uhr beeinträchtigt.
Wie soll ein Steroiddiabetes
behandelt werden?
Blutzuckermessungen sind auch beim Steroiddiabetes Grundlage für die Insulintherapie. Allerdings ist laut Diem die Bestimmung von Nüchternglukose und HbA1c bei Steroiddiabetes wenig aufschlussreich. Um eine Stoffwechselentgleisung rechtzeitig zu erkennen, seien vielmehr Blutglukosemessungen vor dem Mittag- oder Nachtessen angezeigt. Für den Steroiddiabetes gibt es keine evidenzbasierte Therapie. Der Blutzucker kann aber, wie Diem erklärte, auch bei diesen Patienten durch Lifestyle-Massnahmen beeinflusst werden, empfehlenswert sei es zudem, die Kohlenhydratzufuhr einzuschränken und keine Zwischenmahlzeiten einzunehmen. In der Regel benötigen die Patienten Insulin. Ein sonst gängiges Schema mit 2-mal Mischinsulin ist bei neu entwickeltem Steroiddiabetes keine gute Option. Stattdessen sollte man laut Diem besser die 2. Injektion weglassen, da nachts eine vergleichsweise gute Insulinsensitivität vorherrscht. Wenn man sich für die Injektion von rasch wirkendem Insulin entscheidet, sind laut Diem 18 Einheiten, verteilt auf 3 Injektionen zu den Mahlzeiten, eine mögliche Anfangsdosis. Gelegentlich ist zusätzlich ein Depotinsulin notwendig.
Vorübergehend erhöhte Blut-
zuckerwerte tolerieren?
Diem wurde aus dem Auditorium mit der Frage konfrontiert, ob man nicht bei einer Steroidtherapie, die nur auf 3 Monate angesetzt sei, vorübergehend erhöhte BZ-Werte tolerieren könne, um dem Patienten zusätzliche Belastungen zu ersparen. Der Diabetologe hielt dem entgegen, dass es bei der Insulintherapie vor allem darum gehe, die oftmals unterschätzte katabole Stoffwechsellage zu verhindern. Die Muskelmasse könne in 3 Monaten deutlich
schwinden, und viele der Patienten seien ohnehin nicht bei Kräften. Zudem wisse man anfangs nicht, ob nicht eine weitere Steroidtherapie angesetzt werden müsse. Eine Insulintherapie sei also angeraten, es komme aber darauf an, den Steroiddiabetes nicht als zusätzliche Krankheit zu kommunizieren.
Orale Antidiabetika
spielen keine Rolle
Orale Antidiabetika sind bei Steroiddiabetes normalerweise nicht ausreichend wirksam. GLP-1-Analoga wären laut Diem zwar theoretisch eine Option, ob jedoch die Restsekretion auf diese Weise genügend stimuliert wird, ist sehr zweifelhaft. Glitazone, die ohnehin kaum noch eingesetzt werden, verstärken in Kombination mit Steroiden die Adipositas weiter und sind zudem nicht wirksam. Als möglichen Kandidaten für die Zukunft nannte Diem die neue Substanzklasse der SGLT2-Inhibitoren, welche die renale Glukoserückresorption hemmen. Diese Medikamente sind aber erst seit Kurzem zugelassen, Erfahrungen gibt es daher kaum, ebensowenig eine Empfehlung der Fachgesellschaften.
Wie wirken Rheumamedikamente
auf einen Diabetes?
Die bei rheumatischen Erkrankungen
häufig eingesetzten Medikamente
haben keine gravierenden Auswirkun-
gen auf einen bestehenden Diabetes.
Diem merkte aber an, dass Nephro- und
Lebertoxizität unter Methotrexat bei
Diabetikern etwas häufiger vorkämen.
Hier müsse man also «ein bisschen ge-
nauer hinschauen». Ciclosporin A kann
die Betazellfunktion in gewissem Masse
beeinträchtigen, Sulfasalazin ist poten-
ziell blutzuckersenkend. Cloroquin kann
bei manchen Malariapatienten zu Hypo-
glykämien führen, für die Diabetes-
therapie ist das Medikament aber un-
geeignet. Unter den Biologika gelten
IL-6- und TNF-alpha-Blocker bei Typ-2-
Diabetikern als potenziell blutzucker-
senkend, die bisherigen Studien las-
sen aber keine eindeutigen Ergebnisse
erkennen.
O
Uwe Beise
Quelle: «Diabetes bei Rheuma», Vortrag am Rheuma Top 2014, Seedamm Plaza, 22. August 2014 in Pfäffikon.
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