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BERICHT
Hund, Lachs, Schnuller
Neues zur Atopieprävention am 4. Burghalde-Symposium in Lenzburg
Nahrungsmittel, Tiere, Geschwister, Schnuller abschlecken – ein möglichst vielfältiger Kontakt zur Umwelt scheint in der ersten Lebensphase die beste Prävention gegen allergische Erkrankungen zu sein. Am 4. BurghaldeSymposium in Lenzburg gab Prof. Dr. Torsten Schäfer einen Überblick zur kürzlich aktualisierten S3-Leitlinie «Allergieprävention» der Deutschen Gesellschaften für Allergologie und Immunologie (DGAKI) und Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).
Klaus Duffner
Nach wie vor gilt die Empfehlung (1), Säuglinge über 4 Monate voll zu stillen. Danach sollte relativ rasch mit der Beikost begonnen werden. Geblieben ist auch die Empfehlung zur Hydrolysatnahrung bei Babys mit potenziell erhöhtem Allergierisiko. So konnte in einer Metaanalyse gezeigt werden, dass das Neurodermitisrisiko durch Hydrolysatnahrung reduziert wird (2). Dagegen ist sojabasierte Ernährung nicht geeignet für die Allergieprävention. Im Gegenteil: Phytoöstrogene, die in Sojazubereitungen bisweilen enthalten sind, können sogar gesundheitsgefährdende Effekte haben.
Keine diätischen Restriktionen Das Vermeiden bestimmter potenzieller Nahrungsmittelallergene während der Schwangerschaft oder Stillzeit wird derzeit nicht empfohlen. Im Gegenteil: Vieles spreche dafür, dass manche Kinder schon während der Schwangerschaft und auch innerhalb der ersten
MERKSÄTZE
O Kinder sollten möglichst früh mit verschiedenen Nahrungsmitteln in Kontakt kommen.
O Personen ohne erhöhtes Allergierisiko müssen die Haustierhaltung nicht einschränken; nur für Kinder mit erhöhtem Atopierisiko werden Katzen im Haushalt nicht empfohlen.
4 Lebensmonate möglichst früh mit bestimmten Nahrungsmitteln in Kontakt kommen sollten, um die notwendigen Toleranzen zu entwickeln, erklärte Schäfer. So war das Asthmarisiko von Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft häufiger als einmal pro Woche Erdnüsse verzehrt hatten, tatsächlich niedriger als in der Vergleichsgruppe. Ähnliches wird von Fischkonsum in der Schwangerschaft berichtet. Und auch bei Säuglingen, die bereits früh im Leben mit Fisch in der Nahrung konfrontiert werden, ist das Risiko, später eine allergische Rhinitis zu entwickeln, geringer (3). Der Verzehr von Fisch wird daher nach wie vor zur Allergieprävention empfohlen. Auch die Einführung der Kuhmilch – und zwar noch vor dem vierten Lebensmonat – könnte laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2010 mit Vorteilen verbunden sein. So hatte eine Gruppe von Kindern, die in den ersten Lebenstagen (!) mit Kuhmilch versorgt worden war, im Vergleich zu kuhmilchfrei ernährten Gleichaltrigen das geringste Risiko, später eine Milchallergie zu entwickeln (4). «Das deutet darauf hin, dass eine frühe Exposition mit Milch möglicherweise noch bedeutsamer ist», sagte Schäfer. Überhaupt sollte gemäss unterschiedlichen Studien auf Abwechslung geachtet werden, denn «je mehr verschiedene Nahrungsmittel im ersten Lebensjahr eingeführt wurden, umso geringer war hinterher die Ekzemprävalenz».
Prof. Dr. med. Torsten Schäfer, Facharzt für Dermatologie und Allergologie, Immenstadt/Bayern
Und wie steht es mit Fast Food? In einer neueren Untersuchung wurden unter 6- bis 7-jährigen Kindern Obstesser und Fast-Food-Konsumenten («Fruchtzwerge und Pommespimpfe») miteinander verglichen (5). Die Prävalenz für schweres Asthma oder eine schwere Rhinokonjunktivitis war bei regelmässigem Konsum frischer Früchte statistisch signifikant geringer als bei häufigem Verzehr von Hamburger, Pizza und Co.
Präventive Hausstaubmilbensanierung sinnlos Die weitgehende Verbannung von Hausstaubmilben und deren hochallergenen Hinterlassenschaften aus Bett und Wohnung kann für starke Allergiker eine enorme Entlastung sein. Aber taugt das auch für die Primärprävention? In einer Reihe von Studien, die eine Hausstaubmilbensanierung (z.B. in Form milbendichter Matratzenüberzüge) als präventive Einzelmassnahme unter die Lupe nahmen, konnte kein Effekt gefunden werden – selbst bei Risikokindern nicht (6). Deshalb bleibt es dabei: Zur Primärprävention wird eine spezielle Hausstaubmilbenbekämpfung nicht empfohlen.
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ARS MEDICI 6 I 2015
BERICHT
Das Burghalde-Symposium in Lenzburg bietet jedes Jahr neue Über-
raschungen. Diesmal wurde das Programm als allergologisch ge-
würzte Pizza «Quattro Stagioni» präsentiert: Ein paar Erdnüsse, eine
Prise Pollen, ein Hauch Hausstaub und eine Messerspitze IgE – die
vier Referenten Prof. Torsten Schäfer aus Immenstadt, pract. med.
Raquel Enriquez aus Aarau, Dr. Luca Bernasconi aus Mendrisio
und Prof. Schmid-Grendelmeier aus Zürich lieferten dazu die Zutaten
in Form hochkarätiger allergologischer Vorträge. Und nicht zuletzt
bewiesen die beiden Aarauer Organisatoren Prof. Jürgen Grabbe
(Foto, links) und Dr. Markus Streit, dass das Leben italienischer
Pizzabäckerinnen voller herzzerreissender Canzoni ist.
KDO
Hund oder Katze?
Kann der frühe Kontakt mit Haustieren einer späteren Neurodermitis vorbeugen? Bei Hunden scheint das tatsächlich so zu sein. In einer Metaanalyse mehrerer Geburtskohortenstudien litten Kinder mit frühem Kontakt zu Hunden signifikant weniger unter Ekzemen als entsprechende Vergleichskinder (7). Für den Kontakt mit Katzen war hingegen kein eindeutiges Ergebnis festzustellen. Allerdings war bei familiär vorbelasteten Kindern eine Katzenhaltung mit einem erhöhten Ekzemrisiko verbunden, so die Ergebnisse eini-
organischen Verbindungen und Formaldehyde, wie sie zum Beispiel aus neuen Möbeln entweichen, scheinen bei Neugeborenen das Asthma- und Ekzemrisiko signifikant zu erhöhen (10). Daher die Empfehlung: «Die Exposition gegenüber Innenraumluftschadstoffen sollte gering gehalten werden.»
Weitere Faktoren Impfungen erhöhen das Allergierisiko nicht. Im Gegenteil, es existieren (jedoch noch nicht abgesicherte) Hinweise darauf, dass Impfungen dieses Risiko sogar senken können. Manche
«Je mehr verschiedene Nahrungsmittel im ersten Lebensjahr eingeführt werden, umso geringer ist die Ekzemprävalenz.»
ger Studien (8). Beispielsweise wurde in einer skandinavischen Untersuchung für den Nachwuchs aus Allergikerfamilien mit Katzen ein 13-fach erhöhtes Risiko für Neurodermitis festgestellt. Leiden solche Kinder zusätzlich unter einer Filaggrinmutation, wird das Ekzemrisiko durch eine Katze im Haushalt noch einmal deutlich erhöht.
Rauch und Schimmel vermeiden
Bekanntermassen erhöht die aktive und passive Exposition gegenüber Tabakrauch das Allergierisiko bei Kindern. Dies gilt bereits auch während der Schwangerschaft. Dabei ist laut einer neueren Untersuchung die Menge der täglich konsumierten Zigaretten direkt mit dem Allergierisiko der Kinder korreliert, und zwar nicht nur für die Entwicklung von Asthma, sondern auch für Ekzeme und Rhinitis (9). Ebenso schlecht sind Schimmelpilze oder der Aufenthalt kleiner Kinder in frisch renovierten Räumen. Insbesondere die dort freigesetzten flüchtigen
Medikamente, vor allem Antibiotika, stehen hingegen im Verdacht, insbesondere Asthma zu fördern. Allerdings seien die Kausalitäten nicht immer eindeutig, sodass man hier mit einem empfehlenden Statement vorsichtig sein sollte, erklärte Schäfer (11). Erneut bestätigt wurde dagegen die Beobachtung, dass ein Leben auf dem Bauernhof eine frühzeitige unspezifische Immunstimulation auslöst und vor der Entwicklung allergischer Erkrankungen schützt (12). Das gilt nicht nur für Kleinkinder, sondern auch für Schwangere. Interessanterweise scheint laut einer Studie aus dem Jahr 2011 das Ekzemrisiko des Kindes mit zunehmender Zahl der von der schwangeren Mutter betreuten Tierarten, wie Pferde, Kühe, Schweine und Geflügel, sukzessive zu sinken (13). «Also auch hier spielt die Diversität wieder eine Rolle, so wie wir es schon bei den Nahrungsmitteln gesehen haben», so der Allgäuer Allergologe. Aber nicht nur der Kontakt zu verschiedenen Tieren ver-
mindert das Allergierisiko, auch der Besuch einer Kindertagesstätte in den ersten 2 Lebensjahren oder eine höhere Anzahl älterer Geschwister zählen zu den Faktoren, die der Allergieprävention zugute kommen.
Schnuller abschlecken erlaubt
Erstmals berücksichtigt in den Leit-
linien wurde auch die Art der Geburt
des Kindes. Tatsächlich tragen Kaiser-
schnittkinder, die in der Schweiz und in
Deutschland schon ein Drittel aller
Entbindungen ausmachen, ein erhöhtes
Allergierisiko (14). Nicht nur Asthma,
dessen Risiko durch eine Kaiserschnitt-
geburt um 20 Prozent erhöht wird,
sondern auch Heuschnupfen und Nah-
rungsmittelallergien sind bei solchen
Kindern häufiger. «Dies sollte bei der
Wahl des Geburtsverfahrens berück-
sichtigt werden, sofern keine medizini-
sche Indikation für einen Kaiserschnitt
besteht», so der Rat von Torsten Schäfer.
Das Abschlecken des Schnullers, lange
Zeit als unhygienisch verschrien, scheint
eine positive unspezifische Immunsti-
mulation auszulösen. Tatsächlich wurde
in einer neueren Studie gezeigt, dass
dieses unkonventionelle Säubern des
Schnullers sowohl das Ekzem- als auch
das Asthmarisiko senkt (15). Fazit:
«Am besten geschützt sind daher die
Kinder, die vaginal entbunden wurden
und bei denen die Eltern auch den
Schnuller abschleckten.»
O
Klaus Duffner
4. Burghalde-Symposium, 28. August 2014 in Lenzburg; Referat von Prof. Dr. med. Torsten Schäfer: «Hund und Lachs – das Ei des Columbus? Neues zur Atopie-Prävention».
Referenzen: 1. Schäfer T et al.: S3-Leitlinie Allergieprävention –Up-
date 2014 (AWMF 061/016) Allergo J 2014; 23: 32–47 oder www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-016.html. 2. Alexander DD, Cabana MD: JPGN 2010; 50: 422–430. 3. Virtanen SM et al.: British Journal of Nutrition 2010; 103: 266–273. 4. Katz Y et al.: J Allergy Clin Immunol 2010; 126: 77–82. 5. Ellwood P et al.: Thorax 2013; 68: 351–360. 6. Maas T et al.: Cochrane Database of Systematic Reviews 2009; 3:CD006480. 7. Pelucchi C et al.: JACI 2013; 132: 616–622. 8. Epstein TG et al.: J Pediatr 2011;.158: 265–271. 9. Edwin A et al.: Thorax 2012; 67: 941–949. 10. Quansah R et al.: PLoS ONE 2012; 7(11): e47526. 11. Penders J et al.: Eur Respir J 2011; 38: 295–302. 12. Genuneit J et al.: Pediatr Allergy Immunol 2012; 23: 509–518. 13. Roduit C et al.: J Allergy Clin Immunol 2011; 127(1): 179–185. 14. Roduit C et al.: Thorax 2009; 64: 107–113. 15. Hesselmar B et al.: Pediatrics 2013; 131(6): e1829– 1837.
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