Transkript
BERICHT
Die Diät empfehlen, die befolgt wird
Neue Studien zu Ernährung und Körpergewicht bei Diabetes
Etablierte Konzepte und Empfehlungen sollten im Licht neuer Studien überprüft werden. Das gilt auch für Ernährung und Körpergewicht von Zuckerkranken, wie Vorträge an einer Diabetesfortbildung in Bern zeigten.
Halid Bas
von Interesse (2). Hier ergaben sich Hinweise, dass genetische Merkmale die Zusammensetzung des Darmmikrobioms ebenfalls beeinflussen und so ungünstige metabolische Wirkungen entfalten können.
Viele Diabetiker führen einen Kampf um Kalorien und vertrauen dabei auf die Einsparungen durch nicht kalorische künstliche Süssstoffe. Einiges Aufsehen hat daher eine Publikation in der Zeitschrift «Nature» erregt, die aufgrund experimenteller Daten die Süssstoffe in ein sehr ungünstiges Licht rückt (1). Die Autoren konnten nachweisen, dass die Zufuhr gängiger Süssstoffe bei Mäusen zu Veränderungen der Zusammensetzung und der Funktion des Mikrobioms im Darm führt, die ihrerseits die Entwicklung einer Glukoseintoleranz bewirken, erläuterte Prof. Dr. med. Jacques Philippe, Médecin-chef du service d'endocrinologie, diabétologie et nutrition, Hôpitaux
universitaires de Genève. Diese ungünstigen metabolischen Effekte können durch Antibiotikaverabreichung rückgängig gemacht werden. Durch Transfer des durch Süssstoffe veränderten Darminhalts auf keimfreie Mäuse lassen sich die negativen metabolischen Auswirkungen übertragen, ebenso durch Inokulation von unter anaeroben Bedingungen mit Süssstoff inkubierten Mikrobiomen. Die Autoren weisen zudem auf eine ähnliche durch Süssstoffe induzierte Dysbiose und Glukoseintoleranz bei gesunden menschlichen Probanden hin. In diesem Zusammenhang ist eine Analyse von über 1000 Darmmikrobiomen aus einer britischen Zwillingsstudie
MERKSÄTZE
O Nicht kalorische künstliche Süssstoffe führen im Tierexperiment zu einer Veränderung der Zusammensetzung und der funktionellen Komponenten des Darmmikrobioms, die zur Glukoseintoleranz führt; ihr massenhafter Einsatz muss daher kritisch hinterfragt werden.
O Eine mit zusätzlichem Olivenöl angereicherte mediterrane Diät könnte die Inzidenz von Typ-2-Diabetes reduzieren.
O Hinsichtlich Adipositasparadox (geringere Mortalität bei höherem Körpergewicht) bei Typ-2-Diabetes bleibt die Datenlage widersprüchlich.
O Die erneute Gewichtszunahme ist nach rascher oder langsamer Gewichtsreduktion ähnlich.
O Entgegen den Empfehlungen der Leitlinien scheint eine rasche Gewichtsabnahme bei Übergewichtigen gegenüber einer langsamen Gewichtsreduktion bei Motivation und Appetitverhalten Vorteile zu bieten.
Mediterrane Ernährung plus ein
halber Deziliter Olivenöl täglich
schützen vor Typ-2-Diabetes
Interventionen, die zu einer Gewichtsabnahme führen, können die Inzidenz des Typ-2-Diabetes senken. In den letzten Jahren hat sich die mediterrane Ernährung als gesundes Ernährungsmuster etabliert, das mit einem günstigeren metabolischen Profil einhergeht. In der PREDIMED-Studie an Grundversorgerzentren in Spanien wurde das näher untersucht. Dr. med. Fabian Meienberg, Leiter Sprechstunde, Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel, stellte eine Subgruppenanalyse dieser Studie bei initial diabetesfreien Teilnehmern vor (3). 3541 Patientinnen und Patienten zwischen 55 und 80 Jahren mit hohem kardiovaskulärem Risiko waren 1:1:1 entweder zur gewohnten mediterranen Ernährung, ergänzt um täglich (!) 50 ml Olivenöl extra-vergine oder um täglich 30 g Nüsse (Mandeln, Baum- und Haselnüsse), oder zu einer kalorienreduzierten Diät (= Kontrollen) randomisiert. Die Studie umfasste keine Anleitungen zur Reduktion des Körpergewichts oder zur Steigerung der körperlichen Aktivität. Nach einem medianen Follow-up von 4,1 Jahren war in der mit Olivenöl supplementierten Gruppe bei 4,4 Prozent ein Diabetes neu aufgetreten, in der Gruppe mit Supplementation von Nüssen bei 7,4 Prozent und in der Kontrollgruppe bei 8,8 Prozent. Das entspricht einer relativen Risikoreduktion (RRR) von 39 Prozent (95%-Konfidenzintervall
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[KI]: 14–56%) bei mit Olivenöl angereicherter mediterraner Ernährung und einer RRR von 17 Prozent (95%-KI: 10–38%) bei täglichem zusätzlichen Verzehr von Nüssen. Für die Olivenölsupplementation lässt sich eine NNT (number needed to treat) von 30 (95%KI: 21–79%) errechnen, für die Supplementation mit Nüssen waren die RRR und die NNT nicht signifikant. Bei älteren Menschen mit hohem kardiovaskulären Risiko bewirkte die Supplementation mit Olivenöl – auch ohne Anstrengungen zur Kalorienrestriktion, Gewichtsabnahme und körperlichen Aktivität – also eine Senkung des Diabetesrisikos. Problematisch bleibt allerdings die relativ unscharfe Charakterisierung dessen, was eine mediterrane Diät ausmacht, wie Meienberg anmerkte.
Was ist dran am Adipositasparadox?
Beim Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Mortalität bei Typ-2Diabetikern bleiben noch immer Fragen offen, da einige Studien bei übergewichtigen oder adipösen Personen im Vergleich zu Normalgewichtigen eine reduzierte Mortalität fanden, wofür sich der Begriff Adipositasoaradox eingebürgert hat. Über eine neue Studie zur Beziehung zwischen Body-Mass-Index (BMI) und Mortalität bei Personen mit neu aufgetretenem Diabetes mellitus berichtete Prof. Dr. med. Peter Diem, Chefarzt, Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Inselspital Bern (4). Aus den grossen Zahlen der Nurses’ Health Study und der Health Professionals Follow-up Study wurden diejenigen Teilnehmer herausgefiltert, bei denen sich ein Diabetes mellitus neu entwickelt hatte und die zu diesem Zeitpunkt ohne Anhaltspunkt für HerzKreislauf- oder Krebsleiden waren. Anhand der während einer mittleren Beobachtungszeit von 15,8 Jahren aufgetretenen 3083 Todesfälle wurde der letzte BMI kurz vor der Diabetesdiagnose mit der Mortalität korreliert. Das ergab eine j-förmige Kurve bei allen Teilnehmern sowie bei denjenigen, die jemals geraucht hatten. Bei Nichtrauchern verlief die BMI-Mortalitätskurve hingegen linear. Es fand sich somit kein Hinweis für eine geringere Mortalität bei Personen, die bei Auftreten des Diabetes übergewichtig oder fettleibig gewesen waren, also kein Adipositasparadox.
Diese Studie steht in diametralem Gegensatz zu einer anderen, die ein Jahr zuvor online publiziert worden war und eine gesteigerte Mortalität bei steigendem BMI bei Erwachsenen ohne Diabetes, aber eine abnehmende Sterblichkeit mit steigendem BMI bei Diabetikern ergeben hatte (5). «Die sich widersprechenden Studien lassen sich auch nach einigem Nachdenken nicht auf eine Reihe bringen», meinte Diem resignierend, «der einzige Unterschied scheint darin zu bestehen, dass einmal der BMI vor der Diabetesdiagnose und das andere Mal der BMI bei bestehendem Diabetes mit der Mortalität verglichen wurde».
Es ist egal, ob man langsam oder
schnell abnimmt
Guidelines empfehlen eine langsame Gewichtsreduktion und folgen damit der weitherum geteilten Annahme, dass rasch verlorene Pfunde auch wieder rascher zurückkehren. Dahinter ist aber ein Fragezeigen zu setzen, wie Prof. Dr. med. Peter Wiesli, Leitender Arzt, Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Klinik, Kantonsspital Frauenfeld, berichtete. Eine offene Interventionsstudie hat 51 Männer und 153 Frauen 1:1 zu einer raschen oder graduellen Gewichtsabnahme randomisiert (6). Diejenigen Teilnehmer, die in Phase 1 eine Gewichtsabnahme um mindestens 12,5 Prozent erzielt hatten, erhielten anschliessend in Phase 2 eine Erhaltungstherapie während 144 Wochen. Für die rasche Gewichtsreduktion innert 16 Wochen ersetzten die Teilnehmer täglich drei Mahlzeiten durch Optifast®-Produkte, für die langsame Gewichtsabnahme wurden während 36 Wochen täglich ein bis zwei Mahlzeiten durch Optifast® ersetzt. Die Erhaltungstherapie bestand in Diätberatungen alle 12 Wochen und einer kalorienreduzierten Ernährung analog derjenigen zur langsamen Gewichtsreduktion. Aus der Studie ergeben sich folgende praktische Schlussfolgerungen: O Der Wiederanstieg des Körperge-
wichts war nach rascher oder langsamer Gewichtsreduktion ähnlich. O Ein rascher Gewichtsverlust könnte die Patienten besser motivieren. O Bei rascher Gewichtsabnahme nahmen die Teilnehmer häufiger spontan eine gesteigerte körperliche Aktivität auf.
O Eine Ketose unterdrückt den Appetit, erhöht das Sättigungshormon Cholezystokinin und dämpft den Anstieg des orexigenen Hormons Ghrelin.
Über Vor- und Nachteile verschiedener
Diäten wird immer wieder diskutiert.
Eine Metaanalyse hat den Gewichts-
verlust und den BMI nach 6 und
12 Monaten bei Übergewichtigen unter
verschiedenen Diäten untersucht (7).
Aus der Analyse von 48 Studien ergab
sich im Vergleich zu keiner Diät jeweils
eine signifikante Gewichtsabnahme
sowohl für Diäten mit reduziertem
Kohlehydrat- als auch mit reduziertem
Fettanteil. Die Unterschiede zwischen
den verschiedenen Diäten, zu denen
auch solche mit Markennamen wie
Weight Watchers oder Atkins gehörten,
waren klein. «Das stützt eine Empfeh-
lung an die Patienten, jene Ernährungs-
einschränkung zu wählen, die sie befol-
gen können», schloss Wiesli.
O
Halid Bas
«The year in Diabetes 2014», Zentrum Paul Klee, Bern, 11.12.2014
Referenzen: 1. Suez J et al.: Artificial sweeteners induce glucose
intolerance by altering the gut microbiota. Nature 2014; 514(7521): 181–186. 2. Goodrich JK et al.: Human genetics shape the gut microbiome. Cell 2014; 159(4): 789–799. 3. Salas-Salvadó J et al.: Prevention of diabetes with Mediterranean diets: a subgroup analysis of a randomized trial. Ann Intern Med 2014; 160(1): 1–10. 4. Tobias D et al.: BMI and mortality among adults with incident type 2 diabetes. NEJM 2014; 370(14): 1363–1364. 5. Jackson CL et al.: Body-mass-index and all-cause mortality in US adults with and without diabetes. J Gen Intern Med 2014; 29(1): 25–33. 6. Purcell K et al.: The effect of rate of weight loss on long-term weight management: a randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2014; 2(12): 954–962. 7. Johnston BC et al.: Comparison of weight loss among named diet programs in overweight and obese adults: a meta-analysis. JAMA 2014; 312(9): 923–933.
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