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Titel
200701_Brosch_A5_mSHT_Kinderklinik_D_screen
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Artikel-ID
55714
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Alltag von Kindern / Jugendlichen nach einem milden Schädel-Hirn-Trauma / Hirnerschütterung

Liebe Eltern, Liebe Betreuungspersonen
Ihr Kind hat ein mildes Schädel-Hirn-Trauma/eine Hirnerschütterung (nachfolgend mSHT genannt) erlitten. Nach der anfänglichen Überwachung/ Erholung darf er/sie nun nach Hause gehen. Es ist wichtig, dass Ihr Kind langsam zurück in den Alltag kommt und dabei optimal unterstützt wird. Diese Broschüre soll Ihnen dabei helfen:
Auf unserem Notfall oder der Station wurde ihrem Kind aufgrund der Verletzung sowie der Umstände ein orientierender Schweregrad zugeteilt. Wir bitten Sie daher, die entsprechenden Hinweise unter dem Bereich «Schule» und Sport entsprechend dem «Grad» zu beachten.
Grad 1: keine Bewusstlosigkeit oder weniger als 1 Minute. Gedächtnislücke und Beschwerden nach 30 Minuten normalisiert
Grad 2: keine Bewusstlosigkeit oder weniger als 1 Minute. Gedächtnislücke und Beschwerden nach 24 Stunden normalisiert
Grad 3: Bewusstlosigkeit länger als 1 Minute. Gedächtnislücke nach 24 Stunden normalisiert, Beschwerden nach 7 Tagen normalisiert

Das milde Schädel-Hirn-Trauma (auch «Gehirnerschütterung»)
Das mSHT, durch Stürze oder Schläge verursacht, ist eine der häufigsten Unfallfolgen im Kindes- und Jugendalter. Es ist wichtig, unmittelbar nach dem Unfall eine sorgfältige Untersuchung und Überwachung durchzuführen. Meist liegen keine schweren Schädigungen vor und die Kinder können nach kurzer Zeit wieder nach Hause.
Die Erholungszeit des kindlichen Gehirnes ist sehr individuell und kann zwischen einigen Tagen bis zu einigen Wochen dauern. Es ist wichtig, sorgfältig auf die Symptome einer verzögerten Erholung zu achten, damit die notwendigen Massnahmen veranlasst werden können.

Körperliche Symptome
• Kopfschmerzen • Übelkeit • Schwindel /
Gleichgewichtsproblem • Reduzierte Ausdauer • Licht- / Lärmempfindlichkeit • Taubheitsgefühl/Kribbeln • Sehprobleme (verschwommen
Sehen / doppelt Sehen) • Ungeschickte, tollpatschige
Bewegungen
Emotionale Symptome
• Reizbarkeit • Antriebslosigkeit • Traurigkeit • Nervosität • Emotionales / unüberlegtes
Handeln

Kognitive Symptome
• Verlangsamung beim Denken • Entscheidungsschwierigkeiten • Orientierungsprobleme • Diffuse Gedanken • Diffuse Handlungen • Entscheidungsschwierigkeiten • Orientierungsprobleme
Schlafbezogene Symptome
• Erhöhtes Schlafbedürfnis • Einschlafprobleme • Müdigkeit • Erschöpfung

Umgang mit den häufigsten Symptomen
Kopfschmerzen: Kommen in den ersten Tagen häufig vor. Werden durch erhöhte Ermüdbarkeit sowie Stress verschlimmert und sind ein Zeichen von Überforderung. Reduktion des Schulpensums und • Regelmässige Pausen machen bei Hausaufgaben, Lesen und Spielen; • Ablenkungsfreie Umwelt bei Lern- und Spielaktivitäten (kein Handy/Radio TV) • Sparsamer aber gezielter Einsatz von Schmerzmedikamenten • Bei Kopfschmerzen unbedingt den Hausarzt/Kinderarzt konsultieren
Schwindel: Tritt oft nach raschem Aufstehen oder schnellen Positionswechseln auf. Er bildet sich meist in den ersten Tagen wieder zurück. • In den ersten Tagen Dinge ruhiger angehen und sich Zeit nehmen • Ruckartige und schnelle Bewegungen vermeiden • Bei einer Dauer von länger als einer Woche den Kinderarzt konsultieren
Müdigkeit: Ist in der ersten Zeit erhöht. Das Gehirn braucht in den ersten Tagen viel Ruhe. • Vermehrt Pausen und Ruhephasen (Schlafen und Hinlegen auch tagsüber) im
Alltag einbauen • Abends frühe Schlafenszeiten einführen
Augenprobleme: Bilden sich normalerweise in den ersten Tagen nach dem Unfall zurück. Meistens keine Sehprobleme an sich, sondern Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns, Fokussierungsschwierigkeiten (Dinge werden verschwommen oder doppelt gesehen) oder erhöhte Lichtempfindlichkeit gegenüber hellem Licht • Vermeidung von grellem Licht und tragen einer Sonnenbrille

Lärmempfindlichkeit: Zeigt sich häufig, da Kinder und Jugendliche oftmals sensibler auf Geräusche und Lärm reagieren. • Möglichst ruhige und ablenkungsfreie Umgebung (kein TV oder Radio im
Hintergrund)
Verlangsamung: Kann sich darin zeigen, dass Kinder und Jugendliche zu Beginn für alles viel mehr Zeit brauchen. • Zu Beginn nicht zu viel verlangen. Aufträge wiederholen, keine Zeitlimiten
setzten
Konzentrationsschwierigkeiten: Werden häufig beobachtet. Gehäuft auch im Rahmen erhöhter Ermüdbarkeit. Bei Überbeanspruchung kann dies andere Symptome verstärken (z.B. Kopfschmerzen). • Keine Arbeiten, die eine hohe Konzentration erfordern (z.B. Tests in der
Schule) • Regelmässige Erholungspausen bei anstrengenden Arbeiten (ca. alle 20 Min.)
Vergesslichkeit: Kommt oft vor. Z.B. Hausaufgaben oder andere Dinge vergessen und sich nicht mehr so gut an zuvor Gelerntes erinnern. • Wichtige Dinge aufschreiben oder aufzeichnen; Post-It’s oder Erinnerungen
im Handy einsetzten
Erhöhte Ungeschicklichkeit: Kann ebenfalls beobachtet werden. Besonders bei Unsicherheit im Gehen, vermehrtes Hineinlaufen in Möbel oder herunterfallen lassen von Dingen. Das Gehirn integriert verschiedene Inputs, verarbeitet diese und leitet sie weiter. Dieser Prozess kann nach einem Unfall verlangsamt ablaufen. • Mehr Zeit nehmen Dinge zu erledigen

Emotionale Schwankungen: Können sich in erhöhter Reizbarkeit zeigen. Emotionsregulation kann erschwert sein. Dies kann dazu führen, dass das Kind dadurch vermehrt gereizt oder verärgert ist. • Ruhe suchen, Entspannungstechniken anwenden oder das Kind austoben
lassen.

Rückkehr in den Kindergarten / in die Schule
Informieren Sie nahestehenden Personen über den Unfall und die möglicherweise auftretenden Symptome. Die Rückkehr des Kindes muss individuell betrachtet werden, meist kann in der zweiten Woche nach Spitalentlassung der Schulbesuch stundenweise wieder aufgenommen werden. Starten Sie mit einem tiefen Pensum, das langsam aufgestockt werden kann. Eine Überforderungssituation sollte unbedingt vermieden werden. Ihr Kind sollte sich dabei wohlfühlen und beschwerdefrei sein. Eltern und Lehrpersonen sollen sich in den ersten Tagen / Wochen regelmässig über die gesundheitliche Verfassung des Kindes austauschen. Einzelne Kinder sind früh wieder fit, andere sind erst nach einigen Wochen wieder auf ihrem alten Niveau. Ausgeprägte Müdigkeit oder Schlafbedarf nach der Schule, Kopfschmerzen oder Verhaltensauffälligkeiten weisen auf eine Überforderungssituation hin. Dabei sollte das Schulpensum reduziert werden.

Die wichtigsten Symptome in der Schule
• Mühe in der Auffassung, Verständnisschwierigkeiten für Aufgaben
• Lernschwierigkeiten
• Konzentrationsschwierigkeiten / Aufmerksamkeitsprobleme / erhöhte Ablenkbarkeit
• Vergesslichkeit / Unzuverlässigkeit
• Probleme beim Lesen, Schreiben und Rechnen
• Ungenügende Schulnoten bei einem vorher guten Schüler/ bei einer vorher guten Schülerin
• Verhaltensauffälligkeiten (z.B. impulsiv, distanzlos, depressiv, apathisch)

Unterstützung in der Schule
• Ganz klare Anweisung, kurze Instruktionen
• Unterricht rhythmisieren (immer wieder Pausen einlegen)
• Rückzugsort / Ruheort • Nicht zu viele Aufgaben
auf einmal (z.B. kein Diktat schreiben) • Bei Bedarf Benutzung von Hilfsmitteln (Spickzettel, Notizen, usw.) • Mehr Zeit zur Verfügung für Aufgaben; Reduktion der Hausaufgaben

Stufenweise Vorgehen je nach Schweregrad der Verletzung (siehe Beurteilung auf der ersten Seite)

Grad 1

Grad 2

Kindergarten

Schule

• Einen Tag vollständig ausruhen
• Wiederbeginn Kindergarten nach 3 Tagen
• Halbes Pensum für eine Woche (z.B. halbtags, resp. nur 2 h statt 4h)
• Schrittweise erhöhen auf ganze Halbtage respektive ganze Tage

• Einen Tag vollständig ausruhen
• Wiederbeginn Schule nach 3 Tagen
• Zunächst nur halbtags für eine Woche
• Wenn dies gut geht, dann volles Programm

• Drei Tage vollständig Zuhause und ausruhen
• Wiedereintritt Kindergarten 1 Woche nach Unfall
• Für eine Woche die Hälfte der Lektionen (z.B. normales Pensum an einem Tag sind 4h, also nur 2h gehen)
• Danach Erhöhung auf ganze Halbtage (ganzer Vor- oder Nachmittag). Darauffolgende Woche ganzes Programm

• Drei Tage vollständig Zuhause und ausruhen
• Wiederbeginn Schule nach 3 Tagen
• Zunächst nur halbtags für eine Woche
• Wenn dies gut geht, dann volles Programm

• Eine Woche vollständig Zuhause und ausruhen
• Wiedereintritt Kindergarten 2 Wochen nach dem Unfall
• Für eine Woche die Hälfte der Lektionen pro Tag
• Danach Erhöhung auf ganze Halbtage (ganzer Vor- oder Nachmittag). Darauffolgende Woche ganzes Programm

• Eine Woche vollständig Zuhause und ausruhen
• Wiederbeginn Schule 2 Wochen nach dem Unfall
• Zwei Wochen nur halbtags zur Schule
• Wenn dies gut geht wieder volles Programm

Grad 3

CAVE: dies sind Richtlinien. Individuelle Anpassungen sind jederzeit möglich.

Fernseher / Computer / Handy
Der Konsum von Medien wird oft unterschätzt. Das Bedienen und Konsumieren von Medien über TV, Computer, Tablet oder Handy ist für das Gehirn sehr anstrengend. Deshalb ist in den ersten Tagen ein Verzicht und im Verlauf ein äusserst massvoller Konsum wichtig. Dadurch kann eine Reizüberflutung des Gehirns vermieden werden.
Wiederaufnahme von sportlichen Aktivitäten
Es ist wichtig, dass Ihr Kind nicht nur Zuhause herum liegt. Leichte sportliche Betätigung unterstützt den Heilungsprozess. Aufpassen: Erneute Schläge auf den Kopf / Unfälle sollten unbedingt vermieden werden! Die Wiederaufnahme der sportlichen Aktivitäten hängt von folgenden Faktoren ab:
• Alter des Kindes und vorangegangene sportliche Betätigung • Art und Schwere der Verletzung • Verletzungsbedingte Einschränkungen (Muskelschwäche, Koordination,
Gleichgewicht, Sehvermögen, Impulsivität und Abschätzen von Gefahren, körperliche / geistige Ermüdbarkeit) • Art des Sportes und Risiko von weiteren Verletzungen (siehe Tabelle)
Je älter das Kind, desto stärker das Konkurrenzverhalten im Teamsport und desto höher die Gefahr für erneute Verletzungen
Die Aufnahme von… • Kontaktfreien / ruhigen Aktivitäten (tiefes Risiko) bei Symptomfreiheit • Aktivität mit mittlerem Risiko nur nach Rücksprache mit dem betreuenden
Arzt (normalerweise zwischen 6 Wochen und 6 Monaten nach der Verletzung) • Kontaktsportarten oder Hochrisikosportarten erst nach 3 bis 12 Monaten und nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt.

Tiefes Risiko Laufen Jogging Tennis (Einzel) Tanzen Yoga/ Tai Chi/Pilates Bowling Rudern Schwimmen

Mittleres Risiko Velofahren (überwacht) Volleyball Federball Gymnastik

Hohes Risiko Fussball Eis- und Unihockey Basketball Trampolin springen Skifahren/Snowboarden Reiten Motorradfahren Mountainbiken

Diese Liste ist nicht vollständig. Bei Unsicherheit einer nicht aufgelisteten Sportart wenden Sie sich bitte an ihren betreuenden Arzt!

Die Wiederaufnahme von sportlichen Aktivitäten sollte wie der Wiedereinstieg in die Schule stufenweise vorgehen.
Grad 1: frühestens zwei Wochen nach dem Unfall, je nach Sportart siehe Liste oben
Grad 2: frühestens 1 Monat nach dem Unfall, je nach Sportart siehe Liste oben
Grad 3: frühestens 2 Monate nach dem Unfall, je nach Sportart siehe Liste oben
CAVE: Dies sind Richtlinien, eine individuelle Anpassung je nach Befinden ist wichtig!

Wann soll ich wieder zum Arzt gehen?
Falls sich folgende Symptome verschlechtern, erneut auftreten oder eine auffällige Verhaltensveränderung beobachtbar ist: • Verstärkte Kopfschmerzen • Nackenschmerzen • Sieht benommen aus • Erkennt Menschen oder Orte nicht mehr, benimmt sich komisch • Wiederholtes Erbrechen • Verstärkte Verwirrung oder Irritabilität • Ungewöhnliches Verhalten (Aggressivität, teilnahmsloses Verhalten) • Undeutliche, verwaschene Sprache • Schwäche, Taubheit in den Armen / Beinen, Gleichgewichtsstörungen • Bleibende Störungen • Kann nicht aufgeweckt werden / Bewusstseinsveränderungen • Krampfanfälle • Werden Schmerzen nicht besser, auch wenn ein Schmerzmittel (Paracetamol)
gegeben wurde
Bei akuter Symptomverschlechterung: • Ihr Kinderarzt / Kinderärztin, Hausarzt / Ihre Hausärztin • Notfallabteilung des Kinderspitals in Ihrer Nähe
Bei bleibender Symptomatik, Veränderungen in der Leistungsfähigkeit: • Ihr Kinderarzt / Kinderärztin oder Hausarzt / Hausärztin • Allenfalls Zuweisung zur Neuropädiatrie oder pädiatrische Neuropsychologie
Weitere empfehlenswerte Broschüre: Stiftung hiki – Hilfe für Hirnverletzte Kinder «und plötzlich steht alles Kopf», erhältlich online www.hiki.ch (gratis) oder kann bestellt werden (info@hiki.ch oder 044 252 54 54, kostenpflichtig).

170103_ 2020 _ 07_ 02 _ KFG/df

Inselspital Universitätsklinik für Kinderheilkunde Abteilung Neuropädiatrie, Entwicklung und Rehabilitation CH-3010 Bern Tel. +41 31 632 94 24 www.insel.ch