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Wiedergutmachung an einem Wohltäter:
Edward Jenner soll zurück auf den Trafalgar Square
Der Londoner Trafalgar Square ist berühmt für seine Tauben und die Bildnisse britischer Militärhelden. In vier Ecken stehen Podeste, von denen drei auch Statuen tragen, eines ist leer. Eine Petition an die britische Regierung verlangt nun, dass eine Statue des «Erfinders» der Pockenimpfung hierhin soll. Anlass des Ansinnens ist das 30-Jahr-Jubiläum der Ausrottung der Pocken. Schon einmal hatte Eduard Jenners Statue auf dem Trafalgar Square gestanden. Sie war dort 1858 unter viel Pomp und im Beisein von Prince Albert aufgestellt worden, aber nur vier Jahre später in aller Stille an einen eher verborgenen Ort in den Kensington Gardens verbracht worden. Edward Jenner (1749–1823), der kleine Landarzt, hatte mächtige Feinde, Zeit seines Lebens und wie die Geschichte seiner Statue zeigt noch weit darüber hinaus. Er publizierte seine Beobachtung einer Schutzwirkung gegen Pocken nach Inokulation mit
dem Kuhpockenvirus (vaccination von lat. vacca=Kuh) 1798 im Eigenverlag. Den Beweis für die Schutzwirkung führte er durch Einbringen von Pockenviren in die Haut (variolation) bei Geimpften, die dann nicht erkrankten. Die Pockenvakzination wurde schnell als grosser medizinischer Fortschritt erkannt, und ihre Anwendung breitete sich weltweit aus. Doch dies verlief nicht ohne Nebengeräusche. Führende Ärzte versuchten die Vakzination schlechtzumachen, sei es aus Herablassung, sei es aus Neid gegenüber dem Provinzarzt. Angeblich hätten geimpfte Kinder kuhähnliche Züge angenommen, hiess es. Und Gottesmänner wetterten gegen die Infektion Gläubiger mit «bestialischem» Eiter und denunzierten die Impfung unter Beizug zurechtgebogener Bibeltexte als eine Erfindung des Teufels. Posthum erwuchs Jenner mächtiger Widerstand durch die Anti-Vakzinationisten, die sich gegen die zwangs-
weise Pockenimpfung von Kindern und
gegen Impfungen überhaupt wandten. Die
Geschichte hat entschieden. Oder wieder-
holt sie sich in anderem Gewand (Masern
etc.) heute?
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H.B.
Quelle: BMJ 2010; 340:c1582
Geburtenkontrolle in der Volksrepublik China:
Aus Gewohnheit wenig Kinder?
Angesichts überaus zahlreicher Menschen und der Aussicht auf noch mehr hungrige Mäuler bei ungebremstem Bevölkerungswachstum erhob die Regierung der Volksrepublik China 1979 die «Ein-Kind-Familie» zum Prinzip für die meisten Bürgerinnen und Bürger des Landes. Nur Minderheiten blieben ausgenommen, in ländlichen Gegenden durfte nach fünf Jahren ein weiteres Kind kommen, wenn das erste «nur» ein Mädchen gewesen war. Diese Massnahme zur Hebung des Lebensstandards war von viel Propaganda, aber auch von Bussen, von Kindsaussetzungen, Kindstötungen und geschlechtsselektiven Aborten begleitet. Die Politik war ein Erfolg, die Fertilitätsrate sank von 2,9 auf 1,6 Kinder pro Frau. So wurden etwa 400 Millionen Geburten verhindert, und 200 Millionen Men-
schen sollen so aus der Armut befreit worden sein. Der Preis aber war hoch, insbesondere herrrscht ein eklatanter Frauenmangel, da wegen der selektiven Aborte heute auf 100 weibliche 119 männliche Säuglinge geboren werden. Brauthandel ist in vielen Gegenden an der Tagesordnung. Dennoch ist die Geburtenpolitik den Chinesinnen und Chinesen offenbar ins Blut übergegangen und trifft kaum mehr auf erbitterten Widerstand. In einer Befragung von 40 000 Frauen gaben 45 Prozent als ideale Familiengrösse zwei Kinder an (einen Buben und ein Mädchen), aber 37 Prozent würden ein Einzelkind, gleich welchen Geschlechts, wählen. Die Ein-KindOption war unter jüngeren, besser gebildeten und in Städten lebenden Chinesinnen populärer. Wie Professor Therese Hesketh
vom Zentrum für Gesundheit und Entwick-
lung des University College in London
kürzlich an einer dem Thema gewidmeten
Fachtagung ausführte, halten die meisten
Chinesen die Geburtenkontrolle wegen der
Übervölkerungsgefahr für notwendig und
verspüren eine starke kollektive Verant-
wortlichkeit. Daher, so glaubt die Expertin,
würde eine Aufweichung der Ein-Kind-Po-
litik kaum zu einer grossen demografischen
Veränderung führen. Schon heute dürfen
in städtischen Regionen Chinas Paare, die
beide aus Ein-Kind-Familien stammen, zwei
Kinder haben. Aber viele verzichten auf
das zweite.
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H.B.
Quelle: BMJ 2010; 340:c1212
292 ARS MEDICI 8 ■ 2010