Transkript
Editorial
Nun ist sie also doch durchs Parlament gekommen, Präsident Obamas so lange herbeigeredete «grosse» Gesundheitsreform. Begleitet von Mediengetöse einer Intensität und Bösartigkeit, wie wir sie hierzulande (noch) nicht kennen. Das grosse «sozialistische» Massaker am freien Amerika wird dort Millionen von Leuten eine medizinische Grundversicherung bescheren, die sie vorher nicht hatten, bis zu einem gewissen Grad die Angst vor dem Verlust derselben bei Kündigung des Arbeitsplatzes dämpfen und es den Versicherungen erschweren, bekannte medizinische Risiken, ob neu oder alt, als Ausschluss- beziehungsweise Kündigungsgrund anzuführen. Durch ein
Kranken ächzen. Was Politiker und Kassenvertreter nicht wahrhaben wollen, trifft eben doch zu: In der obligatorischen Grundversicherung schrien wir nach guten Risiken – aber es kamen kranke Menschen. Diese Einsicht ist offenbar Thomas D. Szucs, dem neuen Verwaltungsratspräsidenten der Helsana, nicht fremd, sodass jetzt mit einiger Dringlichkeit das Konzept der Billigkassen (und
… aber es kommen kranke Menschen
ähnliches, wenn auch viel kleineres Sozialversicherungsfegefeuer gingen wir ja mit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) am 1. Januar 1996: Schluss mit höheren Prämien für Frauen, Schluss mit der Bindung an eine einzige Krankenkasse, Schluss mit Vorbehalten bei Krankheit, Schluss mit der Altersguillotine im Hinblick auf den Versicherungsbeitritt und so weiter. Und – da man aus politischen Konsensgründen die Quadratur des Zirkels durchaus anstrebte – gleichzeitig sollte mehr Wettbewerb herrschen. Der Wettbewerb, ein typisch «amerikanisches» Prinzip, dominierte seither die gesundheitspolitische Diskussion, oft auf ungesunde Weise. Wozu der «Wettbewerb» unter den Krankenkassen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung geführt hat, wissen wir inzwischen alle: zu Billigkassen, die sich die guten Risiken herauspicken, und zu ganz gewöhnlichen Krankenkassen, die unter der Last der Alten und
der Quersubventionierung aus der Zusatzversicherung) und des wettbewerbsübermotivierten rasanten Wachstums überprüft wird. Freilich scheint auch hier ein «sozialistisches» Gespenst in Gestalt der Einheitskasse einen erstaunlich effektiven Anschub zu leisten. Vorderhand aber soll auf breiter Front bei all den vielen Kassen jeglichen Namens die «amerikanische» Krankheit Managed Care die «Behandlung» der Risiken übernehmen. Ohne Rationierung wird dies allerdings nicht zu machen sein, denn die Risiken sind immer Menschen, und umgekehrt.
Halid Bas
ARS MEDICI 8 ■ 2010 289