Transkript
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Sisi soll wachgeküsst werden!
Entsteht in der Romandie eine Hotel- und Gastro-Erlebniswelt?
Die Schweiz als Pionierland des Tourismus beherbergt eine stolze Zahl legen-
Heini Hofmann
spots internationaler Klientel glänzten vor allem Luzern, Interlaken, Zermatt und St. Moritz,
därer Grandhotel-Ikonen und ist bekannt für ihre Gastronomie, die so variantenreich ist wie die Landschaft und deren Bewohner. Zudem brachte
Zootierarzt und freier Wissenschaftspublizist
Hohlweg 11, 8645 Jona
aber auch Genf, Montreux und Zürich sowie das Tessin.
Territet Belle Époque
das kleine Land eine ganze Reihe illustre Hoteliers-
Nun steht plötzlich das einstige Grand Hôtel et Hôtel des Al-
dynastien und hochdekorierte Kochkünstler hervor.
pes in Territet, wo Kaiserin Sisi zwischen 1893 und 1898 wie-
Nun soll für diese Sparte von Schweizer Aushänge-
derholt geweilt hatte, bevor sie im September 1898 in Genf
schildern in Montreux ein Erlebnistempel der beson-
ermordet wurde (vgl. Kasten), wieder im Zentrum des Inter-
deren Art kreiert werden.
esses, weil zwei findige Köpfe eine gemeinsame Idee hatten:
das Projekt Territet Belle Époque, ein Kompetenz- und Be-
Bei nüchterner Betrachtung hat der Themenbereich Touris-
gegnungszentrum rund um die Geschichte der Schweizer Ho-
mus/Hotellerie/Gastro ein Problem: Dieser Vorzeigesparte
tellerie und Gastronomie und des Tourismus. Das hat in der
fehlt eine Heimat der Selbstbesinnung, ein Ort der Gesamt-
Schweiz bisher noch gefehlt.
präsentation grosser Leistungen, die das positive Image der
Beide Initianten, die sich seit der Schulzeit kennen, sind mit
Schweiz weltweit gefördert haben. Doch nun ist man in Ter-
der Situation vor Ort vertraut, der Montreusien Christian
ritet bei Montreux im Begriff, diesem desolaten Zustand ein
Müller, Ingenieur und Immobilien-Finanzberater, dessen Va-
Ende zu setzen und den einstigen Rückzugsort der Kaiserin
ter rund 25 Jahre lang Besitzer dieser Hotel-Ikone gewesen
Sisi vor ihrem tragischen Tod zu neuem Leben zu erwecken.
Steiler Weg nach oben Die Waadtländer Gemeinde Montreux, entlang dem See heute verstädtert, im oberen Bereich jedoch noch ländlich, ist ein Nukleus der Schweizer Tourismusgeschichte, ein Bijou an der Riviera vaudoise. Seinen Aufschwung verdankt Montreux, abgesehen von der pittoresken Lage, dem Bau von Hotels (ab 1836), Schiffländen (1860) und der Eisenbahn (1861). 1867 existierten in Montreux und Umgebung bereits 43 Hotels, 1885 schon deren 70. Wie überall bei solch stürmischen Entwicklungen gab es auch hier führende Köpfe: Ami Chessex (1840–1917) errichtete in Territet das Hôtel des Alpes (1863) und das Grand Hôtel (1888) sowie in Caux das Palace (1902). Schwager Alexandre Emery (1850–1931) baute das Montreux-Palace (1906). Legendär ist auch die 1900/05 erbaute MontreuxBerner-Oberland-Bahn (MOB), eine meterspurige Gebirgsbahn mit dem Luxuszug Golden-Mountain-Express. Gesamtschweizerisch betrachtet darf die gehobene Hotellerie retrospektiv mit Stolz feststellen, dass sie vor 1914 die wichtigste Finanzressource des Landes war. Als solche Hot-
Sisi – reloaded
Das Projekt Territet Belle Époque lebt auch vom
Sisi-Nimbus. Denn Elisabeth, Gattin von Kaiser
Franz Joseph I., Kaiserin von Österreich und
Königin von Ungarn, residierte auf ihren Reisen
mindestens viermal im Grand Hôtel et Hôtel des
Alpes in Territet, dessen prachtvoller Kuppel-
saal nach ihr benannt ist.
Von hier aus besuchte sie in Genf die Baronin
Julie Rothschild, bewunderte deren Orchideen-
zucht und sagte zu ihr: «Je voudrais que mon
âme s’envolât vers le ciel par une toute petite
ouverture de mon cœur.» Ihre Hofdame Irma Sztáray deutete das später als Vorahnung. Denn als die Kaiserin am Folgetag (10. September 1898) zum Schiff zurückkehrte, wurde sie unverhofft von einem italienischen Anarchisten angefallen und mit einer spitzigen Feile erstochen, die, wie sich bei der Obduktion zeigte, das Herz durchbohrt hatte. Sie erreichte noch
Das letzte Bild von Sisi (li.) vor
ihrem Tod, in Begleitung ihrer
Hofdame, Gräfin Irma Sztáray, vor
dem Grand Hôtel et Hôtel des
Alpes in Territet 1898, incognito
aufgenommen von einem Papa-
razzo.
(Bild: Public Domain)
das Schiff, wo sie aber zusammenbrach. Kurz
darauf verblutete sie innerlich im Hotel Beau-Rivage und starb.
Wenn also das Projekt Territet Belle Époque realisiert werden kann, würde dadurch
auch die von allen geliebte Sisi zu neuen Ehren kommen.
HH
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Die prachtvolle, polychrome Glaskuppel über dem grandiosen
Sisi-Speisesaal (von 1904).
(Bild: oZimages)
So präsentiert sich der Mitteltrakt zwischen den ehemaligen Grandhotels
heute. Hier soll das Projekt Territet Belle Époque entstehen: Er umfasst
ganze 4500 Quadratmeter (!) auf acht Stockwerken, was auf dem Bild nicht
zur Geltung kommt, da die Veranda des Sisi-Speisesaals die dahinterliegen-
den Gebäude verdeckt.
(Bild: Assoc. Territet 2018)
ist, und die (in Basel geborene) Veytausienne (Veytaux-Chillon) Evelyne Lüthi-Graf, Geschäftsführerin der Stiftung Hotelarchiv Schweiz in Lausanne. Seit zweieinhalb Jahren arbeiten beide an diesem Projekt. Konzept und Businessplan, erarbeitet mit einem professionellen Mitarbeiterstab, liegen vor. Und alle vier grossen Dachverbände (Hotelleriesuisse, GastroSuisse, Hotel & Gastro Union, Schweiz Tourismus) haben ihre Unterstützung zugesagt. Müller und Lüthy-Graf (die früher Stadt- und Gemeindearchivarin von Montreux war) sind fest davon überzeugt, dass Territet der richtige Ort fürs Projekt wäre: «Montreux ist der Name der Pfarrei, die vor 1961 ganze 24 Dörfer zählte. In der Belle Époque wurde Montreux zur Stadt, die es heute ist – dank den 120 Hotels auf Gemeindegebiet. Deshalb gilt Montreux als eine der Wiegen des Tourismus und der Schweizer Hotellerie. Und Territet ist der historische Kern – und somit für unser Projekt prädestiniert.»
Die Gemeinde zögerte Vom ehemals dreiteiligen Hotelkomplex in Territet wurden die beiden seitlichen Gebäude vor Jahren zu Wohnresidenzen umfunktioniert. Der mittlere Komplex – der für das Projekt zur Diskussion steht – gehört der Gemeinde Montreux, die
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Der Sisi-Speisesaal befindet sich heute noch im Originalzu-
stand und ist sehr gut erhalten.
(Bild: Assoc. Territet 2018)
diesen während zwanzig Jahren an ein Museum (Audiorama) vermietet hatte, das bereits nicht mehr existiert, weil es nie auf Touren kam, was aber nicht am Standort, sondern am Konzept lag. Deshalb vermeiden die Initianten tunlichst, für ihr neues Projekt nur den statischen Begriff Museum zu bemühen. Sie planen eine Erlebniswelt. Heute stehen in diesem Mitteltrakt die ehrwürdigen Räumlichkeiten inklusive des legendären Sisi-Kuppelsaals leer, während sie früher von Lebensfreude und Highlife erfüllt waren. Die Belle Époque mutierte zur Époque Tristesse – ein Wundmal an touristisch bester Lage. Doch die Crux ist die: Der Bau steht unter Denkmalschutz, ist aber renovationsbedürftig, weshalb die Gemeinde lange unschlüssig war, was sie damit anfangen soll, da sie so oder so viel Geld investieren müsste und bezüglich Museum nun ein gebranntes Kind ist. Deshalb zögerte sie auch, dem Projekt Territet Belle Époque grünes Licht zu geben, damit dessen Promotoren Nägel mit Köpfen machen können.
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Der nach Sisi benannte historische Speisesaal mit reichen Stuckaturen und Fisch-
gräten-Parkett.
(Bild: Arch. constr. moderne)
Der Befreiungsschlag Doch nun, am 3. Juli 2016, tat die Gemeinde einen mutigen Schritt nach vorn, indem sie den ihr gehörenden Mitteltrakt zum Verkauf freigab. Sie erliess einen Aufruf an Interessenten mit der Auflage, den Sisi-Prachtsaal weiterhin selber für Empfänge benützen zu dürfen, da sie über nichts Gleichwertiges verfügt. «Nous espérons», erklärte der Syndic der Municipalité de Montreux, Nationalrat Laurent Wehrli, «que cette action va déboucher sur des propositions concrètes et débloquer la situation.» Die Gemeinde Montreux sucht nun also den Retter in der Not, der das ehrwürdige Gebäude – mit notabene nicht weniger als 4500 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf acht Stockwerken – nicht nur kauft, renoviert und dessen Statik stabilisiert, sondern dieses wieder mit Leben erfüllt und zu einem neuen Sightseeing- und Sightfeeling-Anziehungspunkt macht. Dafür müsste ein Interessent, abzüglich Reduktion für die Saalbenützung durch die Gemeinde, allein für den Kauf gut 3 Millionen Franken auf den Tisch legen. Dazu kämen die nachher anfallenden Kosten für Gebäudesanierung, Innenrenovation und Projektrealisierung, was – gemäss zwei unterschiedlichen Expertisen – nochmals zwischen 9 und 12 Millionen Franken betragen würde. «Idéalement», so lässt sich der Cyndic vernehmen, «nous verrions bien une fédération sportive internationale ou une groupe européenne, investir le bâtiment.» Umgekehrt hoffen die heimischen Territet-Belle-Époque-Initianten natürlich, dass sie das Rennen machen. Den Kauf könnten sie stemmen, für den Rest suchen sie noch den reichen Onkel. Was würde wohl Sisi dazu sagen? Wetten, dass sie sich auf die Seite der Idealisten schlagen täte. Jedoch: Entscheiden wird schliesslich der Conseil communal.
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Selbsttragend soll es sein Doch die Initianten von Territet Belle Époque haben ein Konzept erarbeitet und gerechnet, das vielleicht auch die Gemeinde überzeugen kann. Rund um die eigentliche Erlebniswelt mit Museum, Bibliothek und Archiv sind wirtschaftliche Zonen geplant, durch die das Projekt finanziell selbsttragend würde: neben dem bestehenden Sisi-Prachtssaal für Bankette ein Boutique Hotel Bel’Époque, Caféteria und Lounge, Events und Games, Shop und Minigolfanlage, alles mit kostümiertem Personal. Im Info- und Museumsbereich wird die landeseigene Geschichte der Hotellerie, der Gastronomie und des Tourismus nachgezeichnet. Diese Swissness ist insofern wichtig, weil – wie die aktuelle Statistik zeigt – über 50 Prozent der Hotelübernachtungen in Montreux durch Schweizer generiert werden. Aber auch ausländische Touristen werden auf ihre Rechnung kommen.
Hotel-Gastro-Lehrpfad
Bref: Falls es den Initianten gelingt, in Territet diese Erleb-
niswelt zum Thema Tourismus, Hotellerie und Gastronomie
zu realisieren, entstünde im Welschland ein eigentlicher
Lehrpfad zu dieser Thematik, zusammen mit dem Nest von
Néstle und dem Alimentarium in Vevey sowie der Mosimann
Collection auf dem Gelände der Hotelfachschule César Ritz
in Le Bouveret.
Und falls das Schweizerische Gastronomie-Museum, das in
diesem Jahr seinen Platz im Schloss Schadau in Thun räumen
muss und noch keine Alternative hat, sich dazu entschliessen
sollte – nach dem Prinzip Gleiches zu Gleichem –, mit dem
Projekt Territet, wo noch freie Kapazitäten bestehen, zusam-
menzuspannen, wäre dies, aus der Sicht interessierter Be-
sucher, das Tüpfchen auf dem i.
Eine solche Summierung artverwandter Institutionen könnte
sich positiv auf den Besucherstrom für alle auswirken, ganz
abgesehen davon, dass in nächster Nähe auch noch andere
kulturelle Highlights locken wie Schloss Chillon oder Chap-
lin’s World in Corsier, das Spielzeugmuseum in La Tour-de-
Peilz, das Oympische Museum in Lausanne Ouchy oder das
bald einmal eröffnende Aquatis (Grossaquarium) oberhalb
von Lausanne.
Ergo: ein kultureller Win-win-Hotspot, dessen Highlights sich
gegenseitig hochschaukeln.
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Weitere Infos: www.territet2018.ch