Transkript
ROSENBERGSTRASSE
Rosenbergstrasse 115
Die Selbstdispensation ist noch lange nicht gerettet. Nur weil die Bevölkerung mehrfach dafür gestimmt hat, nur weil drei von fünf Bundesrichtern fanden, das Recht der Kantone, selber über das Recht auf Selbstdispensation zu bestimmen, sei zu beachten, nur weil das ganze Theater allein im Kanton Zürich nun bald zehn Jahre dauert, nur weil die Selbstdispensation für Patienten und Krankenkassen günstiger ist, nur weil sie kundenfreundlicher ist, ist das noch lange kein Grund, der Selbstdispensation nicht all das erneut vorzuwerfen, was längst widerlegt ist. Es lohnt sich, die Begründung von Stéphane Rossinis Motion «Absurde Anreize bei der Medikamentenabgabe» zu lesen (Seite 97).
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Noch sind wir nicht so weit in der Schweiz. Jedenfalls nicht überall. In Italien fand eine über 70-jährige Biologin eine Marktlücke, die bei uns vermutlich weniger Erfolg hätte. Sie eröffnete in verschiedenen Städten Arztpraxen, in denen die Patienten mit Heilwasser aus Lourdes, Fatima und Medjugorie und andern Wallfahrtsorten behandelt wurden. Das Gütterli zum ansehnlichen Preis von 200 Euro. Wie die Polizei beziehungsweise das staatliche Labor herausfand, bestanden die Heilwasser aber lediglich aus gewöhnlichem lokalem Leitungswasser – was zugegeben viel ökologischer ist, als die Wässer von weit her zu transportieren. Das allerdings war nicht die Erklärung der Frau Biologin. Vielmehr behauptete sie, eine innovative Technik zur «Harmonisierung der Materie» entwickelt zu haben und damit auch Krebs heilen zu können.
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Ob bei uns in den einschlägig bekannten Kantonen alle Heiler mit mehr als lokalem H2O ihr Geld verdienen, ist allerdings auch nicht so sicher.
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In der Schweiz, wo Steuerhinterziehung nicht strafrechtlich verfolgt wird und die meisten Bürger ihre Steuern – wenn auch ungern – korrekt zahlen, geht’s dem Staat bestens. Andere Staaten versinken in Schulden, die Schweiz baut Schulden ab. Gut, manchmal geht ein Beraterhonorar oder ein Zusatzverdienst beim Ausfüllen der Steuererklärung vergessen, aber das hält letztlich jeder für ein lässliches Versehen und es schadet dem Staat kaum. Im Gegensatz zu den USA, wo Steuerhinterziehung als schweres Verbrechen gilt. Typisch: Al Capone wurde nicht etwa deswegen ins Gefängnis gesteckt, weil er Dutzende Menschen ermordet hatte und Boss des organisierten Verbrechens war, sondern weil er Steuern hinterzogen hatte.
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Die Staatsschulden der USA betragen heute rund 15 Billionen (amerikanisch: Trillions) US-Dollar. Darüber, ob ein aggressives Steuerregime mit der Höhe der Staatsschulden korreliert, lässt sich nur spekulieren.
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Die USA wollen kein Bankkundengeheimnis für ihre Bürger, sie wollen den gläsernen Bürger. Egal, wo die Bürger ihr Geld angelegt haben. Da ist es gut zu wissen: Der Starke setzt sich durch. Immer. Auch wenn er – nach unserem Verständnis – im Unrecht ist. Wir haben dem nichts entgegenzusetzen; unser Bankkundengeheimnis für Amerikaner ist gestorben. So einfach ist das. Nicht das Richtige siegt, sondern der Mächtigere.
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Manche meinen: Die hoch verschuldeten USA führen einen Wirtschaftskrieg gegen die Schweiz und ihre Banken.
Wenn dem so ist, dann tun wir gut daran, uns klar zu machen: Wir haben keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen. Nicht, solange die USA die wichtigste Wirtschaftsmacht sind. Nur, auch das kann rasch ändern. China, Indien, Brasilien, Russland – in 20 Jahren werden sie die Regeln bestimmen.
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Die Kurzmeldung: Die Feier für den Möchtegern- und schaurigerweise FastBundesrat Hansjörg Walter, der dann wenigstens noch Nationalratspräsident wurde, soll 216 000 Franken gekostet haben. Man rechne – und staune: Entweder waren das 2160 Gäste à 100 Franken oder 100 Gäste à 2160 Franken.
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Alle müssen sparen: die Stadt, der Kanton, Griechenland, Italien. Am cleversten wie immer die italienischen Politiker. Sie, die bestbezahlten Volksvertreter Europas, haben sich selber 10 Prozent Lohnerhöhung zugestanden und – gleichentags wieder darauf verzichtet. Das sind – kein Zweifel – Einsparungen von 10 Prozent bei den Politikerlöhnen. Chapeau! Beziehungsweise: Tanto di capello!
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Und das meint Walti: Ich lasse mich nicht hetzen, schliesslich bin ich an der Arbeit und nicht auf der Flucht.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 3 ■ 2012
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